zmitz-Bloggerin Mirjam geht endlich wieder aus und trifft eine Künstlerin oder einen Kulturschaffenden ihrer Wahl. Jemanden, den sie gerne (wieder) einmal sehen würde, von dem es News gibt oder sie schon lange einmal etwas fragen wollte (und sie hat meistens viele Fragen). Der/die Gesprächspartner*in wählt die Beiz und das Getränk.
Ich «verfolge» Adina Friis schon ziemlich lange: Meinen ersten Blog über sie habe ich im Januar 2016 geschrieben (lies hier). Einmal ihr unverwechselbares Klavierspiel gehört, will man diese Künstlerin nicht mehr aus den Augen – oder Ohren – verlieren. Ihre Schwester Steffi Friis habe ich 2017 zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, als sie im Film «Die letzte Pointe» eine kleine Nebenrolle besetzte. Im letzten Oktober dann wurde aus meinem «Geheimtipp» Adina eine Filmkomponistin zum Film «Eden für Jeden» (unter der Regie von Rolf Lyssy) und Steffi Friis übernahm in dem selbigen die Hauptrolle der «Nelly» (hier ist der Blog dazu zu lesen). Diese «Geschichte» der beiden Schwestern, die mit dem gleichen Projekt einem grossen Publikum bekannt wurden, jedoch bereits seit langem einen eigenen Weg verfolgen, interessiert mich. Wie sind die beiden aufgewachsen und wie sieht ihre künstlerische und private Beziehung heute aus? Für mich war klar, ich wollte die begabten Schwestern zusammen treffen.
Wir verabreden uns an einem sonnigen Sonntagnachmittag im lauschigen Garten der Cantinetta Bindella in Solothurn. Adina und Steffi bestellen Eistee für alle. Mir fällt wieder auf, wie ähnlich und doch unterschiedlich die beiden sind: Beide wirken filigran, sprechen in einer ähnlichen Tonlage, gestikulieren beim Reden, sind offen und lassen gleich Nähe zu. Doch Adina ist zurückhaltender, wählt ihre Worte überlegt. Steffi wirkt quirliger, spricht direkt aus dem Gedanken heraus. Als erstes interessiert mich, an welchen Projekten jede der zwei Schwestern arbeitet. Steffi erzählt von ihrem Engagement im Rahmen der Masterarbeit ihres Partners Julius Schröder an der Hochschule der Künste Bern (HKB). «Es handelt sich um eine düstere, nicht kinderfreundliche Produktion von ‹Winnie the Pooh›», erklärt sie. Mehr Gesellschaftskritik als Kindergeschichte. Es geht um psychische Krankheitsbilder in Verbindung mit Hikkikomori, dem japanischen Phänomen, wonach sich Menschen freiwillig einschliessen, um den gesellschaftlichen Rückzug anzutreten. «Pooh hat eine Essstörung und ich bin der depressive Esel», lacht Steffi. Das Projekt tönt spannend: Schröder schrieb Konzept und Stück und wird es als Theatergame produzieren. Ab dem 11. Dezember 2021 kann es in Slots eines Live-Streams «besucht» werden. Steffi spielt den «depressiven Esel» nicht als Tier, sondern als Superpopstar, der das Dilemma des Ruhms und der darauf folgenden Einsamkeit aushalten muss. «Ich freue mich sehr darauf, einen zerrissenen Charakter zu spielen», schwärmt Steffi.
Adina arbeitet an einem neuen Album von «Luumu» und meint, dass sie zum ersten Mal genau so arbeite, wie sie es wolle: Im Dezember hat sie mit dem bewährten Luumu-Trio die Stücke aufgenommen, danach arbeitete sie am Gesang und arrangierte für einen Streicher und Bläser. Für mich ist es schwer vorstellbar, wie man dieses Ensemble auf einem Album auftreten lässt, doch Adina erklärt es ganz einfach: «Ich rufe befreundete Musiker*innen an und frage sie, ob sie etwas einspielen würden.» Ich erkenne wieder einmal die Herausforderungen der Kunst: Verdienen werden diese Musiker-Kolleg*innen nicht viel und ohne dieses Netzwerk ist das Musikerinnen-Leben schwierig. «Ich habe ziemlich genau ein halbes Jahr an diesem Album arrangiert, aufgenommen und gemischt», so Adina. Mich interessiert natürlich, ob die Erfahrung, die sie durch die grosse Filmkomposition im Lyssy-Film gesammelt hat, in ihr neustes Werk einfliessen wird. «Absolut. Die ganze Orchestrierung gehe ich ganz anders an.» Doch vor allem habe sie gelernt, dass sie «einfach machen» müsse: «Ich arbeite auf diesem Album viel mehr ‹im Dienste von› etwas. Zum Beispiel im Dienste des Liedes. Vielleicht muss zu Gunsten des Liedes einmal auf einen Bläser verzichtet werden. Genau wie im Dienste einer Filmszene etwas geändert werden muss, das ich anfangs nicht so geplant hätte.» Wann das neue Album fertig ist, ist noch nicht ganz klar. Doch im Vordergrund steht im Moment das Auftreten. «Ich kann es kaum erwarten, wieder auf der Bühne zu stehen.»
Während die eine Schwester erzählt, hört die andere genau zu. Manchmal ergänzt sie etwas aus ihrer Sicht, nie unterbricht sie oder stellt Gesagtes in Frage. «Wir waren nie Konkurrentinnen», sagt Steffi, «zum einen ist Adina fünf Jahre älter als ich, zum anderen hatten wir beide schon immer unser jeweiliges ‹Nerd-Gebiet› und kamen uns nicht in die Quere.» Für beide Schwestern war vor dem zehnten Lebensjahr klar, was sie einmal werden wollten – Steffi immer Schauspielerin, Adina immer Jazz-Pianistin. Zwar erstaunt es mich, dass es tatsächlich Kinder zu geben scheint, die die 08/15-Kinderberufswünsche wie Detektivin oder Tierärztin nicht träumten, trotzdem habe ich mit einer solchen Antwort fast gerechnet: «Wir waren nie die Familie, die miteinander gesungen hat», stellt Adina klar, «aber wenn ich es mir so überlege, haben wir wohl konstant eine musikalische Bildung erhalten.» Steffi ergänzt: «Wir haben die Musikgeschichte systematisch mitbekommen.» Und beide sagen im Chor: «Classic for Kids» und beschreiben, dass sie als Dreikäsehochs stundenlang kindergerecht aufbereitete Geschichten über Komponisten wie Mozart oder Bach zu hören bekamen.
Wäre eine anderer Berufswunsch dringelegen? «Durchaus», meint Adina, «aber vielleicht sind wir gar nicht so darauf gekommen». Die beiden beschreiben ihre Kindheit als eine mit viel Eiskunstlauf, Tanzen und Ponyhüten. Eine ganz «normale» Kindheit, aber auch eine mit vielen Rollenspielen, so manchen – vor allem alten, dänischen – Filmen. Mit Musik, Literatur und (wie ich mir vorstelle) Mozart, Beethoven, Brahms und Tschaikowski quasi am Esstisch. Dass sie sehr «begabt» seien, sei ein schönes Kompliment, doch Adina schliesst nicht aus, dass diese musische Bildung einfach ihren Teil dazu beigetragen hat.
Und vielleicht spielt es gar keine Rolle. Schliesslich sind sie vor allem einfach Schwestern, die mehrmals wöchentlich telefonieren, sich Tipps holen und sich eng verbunden sind – und trotzdem sagen: «Wir waren immer verschieden und das ist auch gut so.» Stimmt. Ich freue mich auf alles Neue von ihnen – egal ob es aus ihrer «Begabung» oder aus dem konsequenten Verfolgen ihres jeweiligen Weges entspringt.
Seit der ersten Stunde bei zmitz dabei, ist sie sich bewusst, dass Kultur nicht immer allen gefallen muss. Sie aber weiss, was ihr passt. Soll nicht heissen, dass sie auch einmal über den Tellerrand ihrer eigenen Kultursuppe hinausblickt und Dinge erkundet, die nicht unbedingt ihr Ding sind. Ihr Herz schlägt für Musik – ob ab Bühne oder Konserve – und vor allem für alles, was nicht so ganz in ein Schema passen mag. Und weil sie im Hintergrund aktiv mitdenkt, bleibt zmitz nicht so gut wie ehedem, sondern wird stets besser.