Die Solothurner Literaturtage waren für Bloggerin Lucilia Mendes von Däniken kulturelles Neuland. Der erste Trip dorthin startete verhalten – und endete mit einem Kopf voller Gedanken.

Mit den Literaturtagen ging es mir wie mit den Filmtagen: Ich war zuerst mal überfordert. Wann wohin? Was schauen, hören, machen? Durchorganisiert hingehen oder einfach mal drauflos? Ich lese gerne und viel. Aber nicht sehr bewusst. Die Bücher sind oft Zufallstreffer aus einem Offenen Bücherschrank. Ich befasse mich wenig mit Autoren, Trends und Neuheiten. Beim Studium des Programms traf ich darum auf wenig, das mich in der Programmwahl geleitet hätte. Also dann einfach mal drauflos!

Am Freitag spazierte ich kurz vor Mittag in Richtung Kunstmuseum-Park. Das – aufgrund des Landhaus-Umbaus – neue Zentrum des Festivals gefiel mir schon mal sehr: Bisschen Streetfood, etwas von Camping und das vermischt mit Sonne und Kultur. Ich setzte mich einfach ins Gras, plauderte mit Freunden und liess die Szenerie wirken. Als die Menschen aus dem Kunstmuseum strömten, wollte ich da mal einen Blick rein werfen. An der Tür kam mir dann Ex-Blogger Tim Felchlin, Literaturexperte bei Radio SRF sowie bei ORF, entgegen und meinte: «Jetzt hast du mich gerade verpasst, ich habe da drin ein Gespräch geleitet.» Mist, diese Info brachte mich aus dem Takt. Das wäre ein top Einstieg gewesen. Leicht frustriert hatte ich keine Lust mehr auf ein fixes Programm im Innern eines Gebäudes und ich ging darum zur St. Ursen-Treppe, zur offenen Bühne und hörte da der Autorin Asja Bakic zu. Es war heiss, aber stimmungsvoll und die Stadt brummte nur so von Tagestouristen. Für den Anfang reichte mir das.

Gestern Samstag wollte ich dann ein Gespräch oder eine Lesung – bestenfalls eine Mischung davon – besuchen. Ein Blick ins Programm lockte mich in den Konzertsaal zu Kay Matter. Eine gute Wahl. Der Einblick in das Schaffen von Kay Matter bewegte mich. Die Gedankengänge, das Eintauchen in eine sprachliche Welt der Queerness, in die Welt der Männer, des Mannseins und des Mannwerdens war erstaunlich, erschütternd und überraschend. Hatte man mir mal gesagt, dass eine der Hürden der Literaturtage sei, dass einige Autor:innen zwar gut schreiben, aber noch lange nicht gut vortragen können, hatte ich hier wohl einen positiven Volltreffer gelandet: Kay Matter hätte ich noch lange zuhören können – und «Muskeln aus Plastik» steht auf meiner Buchwarteliste.

Für den Sonntag hatte ich mir dann einen Workshop vorgenommen. Um 10 Uhr stand ich zusammen mit acht weiteren Frauen im Zelt vor dem Kunstmuseum und liess mich von Theaterregisseur Livio Beyeler abholen in das Buch «Kalte Füsse» von Francesca Melandri. Doch zuerst die Vorstellungsrunde. «Wer bin ich, was will ich hier?» Nach wenigen Minuten schon die ersten Tränen und Betroffenheit: Eine der Teilnehmerinnen erzählet, dass sie seit Tagen Worte sucht, um den Verlust ihres Kindheits-Ferienortes zu verarbeiten: Die Erinnerung an Blatten schmerzt. So geht es auch einer anderen Teilnehmerin, die gerade ein paar Tage genau dort als Journalistin verbracht hat.

Emotional aufgeladen machten wir uns zuerst an einen Textausschnitt aus «Kalte Füsse» und uns danach auf die Suche nach Orten in der Schweiz, wo jede von uns sich sicher fühlt. Die daraus entstanden Landkarte führte zu tiefen Gesprächen. Es folgten Statements, die aufzeigten, dass Orte auch Gefühle sein können.

Im nächsten Textausschnitt ging es um das «Alter Ego» des Vaters der Protagonistin. Und Livio gab uns den Auftrag, ein paar Zeilen über unser (fiktives) «Alter Ego» zu schreiben. In Dreiergruppen lasen wir uns diese Zeilen vor. Zwei hörten zu und versuchten aufgrund der Schilderung ein Bild dazu zu zeichen. Eine Skizze der Situation oder ein Phantombild der beschriebenen Person. Während die Jüngste im Bunde von einer Uni-Karriere träumt, die sie niemals zu erreichen glaubt – und somit preisgibt, was ihre grösste persönliche Enttäuschung beinhaltet, träumt die Autorin mir gegenüber davon, einmal ihren «Moment of Fame» zu haben.

Sechzig Minuten hat der Workshop gedauert – und diese eine Stunde wird mich noch lange beschäftigen. Hat sie doch gezeigt, dass das gehörte und das geschriebene Wort – und wenn es nur ein paar Zeilen sind – unglaublich viel Tiefe haben können. Mehr, als man oft in einen abendfüllenden Film oder einen literarischen Schunken packen kann.

Am ersten Tage hatte ich das Gefühl, dass mich die Literaturtage nicht begeistern können, ich den Zugang nicht finden werde. An Tag drei musste ich nach einer Stunde abbrechen, weil mein Kopf und mein Herz schon so voll waren, dass es noch für ein paar Tage nachhallen wird.

Ohne Lucilia wäre zmitz nicht zmitz. Denn im Jahr 2014 gründeten sie und Fabian den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn strahlen zu lassen. Aus langjähriger beruflicher Tätigkeit und purem persönlichem Interesse kennt sie die Kulturbetriebe der ganzen Region und denkt immer eine Nasenspitze weiter. Sie ist aber nicht nur Co-Leiterin der Redaktion, sondern auch Vizepräsidentin des Vereins zmitz.