In den früheren Ausgaben ist offenbar schon fast alles passiert – bis hin zu einem Quasi-Strip auf der Bühne. Blogger Gianni Leardini war gespannt, was ihn erwarten würde – und wünscht sich für die nächsten Ausgaben mehr Publikum und spontane Darbietungen.
Die Ankündigung des Open Mic-Abends in der wunderbaren Raumbar des Kofmehl durch das junge Duo Annika Strand & Alessio Piazza macht mich noch gwundriger. Ich war nämlich noch nie an so einem Anlass. Da wird die Allgemeinheit aufgerufen, «die Bühne zu rocken oder deine Skills vor Publikum zu zeigen». Das beeindruckt mich, ich würde mich ja nie im Leben trauen. Schon das Vorsingen in der Schule verursachte bei mir schlaflose Nächte und Bauchkrämpfe. Beim Open Mic im Kofmehl besteht kein Risiko, dass die Bühne leer bleibt: Einige Auftritte sind einprogrammiert, zusätzlich kann frau/man die Wild Card nutzen und seine Talente spontan zum Besten geben. An diesem Abend wurde diese Möglichkeit nicht genutzt – ich bin wohl nicht der einzige mit dem Bauchkrampf-Syndrom.
Was ich und das leider nicht sehr zahlreiche Publikum in den nächsten zweieinhalb (!) Stunden erlebten, war coole Unterhaltung, allemal besser als Netflix, und das erst noch mit freiem Eintritt (Kollekte). Als erstes trat Natalí auf, nur sie und ihre Gitarre, extrem intensiv, ungeschliffen, präsent. Die Texte der Sängerin, Komponistin und Producerin aus Bern sind poetisch-tiefgründig, die Stücke ruhig bis balladig. Natalís Stimme verfolgt mich immer noch – im positiven Sinn – für alle Zeiten hätte ich ihr zuhören können…
Dann wurde es lauter, ziemlich laut sogar, und solothurnisch: Ocean Room spielt, gemäss eigenen Angaben, Musik, «die lauten Rock, psychedelische Klänge und Retro-Vibes vereint». Cedric Moos (Gesang, Lead-Gitarre) gab mit Michael Marti (Orgel), Andreas Marti (Bass) und Matteo Valentino (Schlagzeug) Vollgas. Sie rockten, dass die Raumbar-Wände wackelten. Richtig fette Musik aus der guten alten Zeit, zum Headbangen, wenn man denn noch Haare hätte…
Nach einer kurzen Verschnaufpause und rund 80 Dezibel leiser: Slam-Poet Vive le Charme, bürgerlich Vivek Sharma, der in Olten wohnt und allen Ernstes vor dem Solothurner Publikum behauptete: «Ich habe trotzdem Freude an meinem Leben.» Seine witzige Performance handelte von einem «Maa zmitz im Läbe» oder kurz: einem mittelmässigen Typen mitten in der Midlife-Krise. Sein ätzendes Selbstmitleid geht so weit, dass sogar sein eigenes Spiegelbild genervt davonläuft. Die Pointen waren alles andere als zum Davonlaufen, sorgten für Lacher, regten aber auch zum Nachdenken an, genau so muss Slam-Poetry sein.
Der vierte Act hatte ein Heimspiel: das Solothurner Urgestein Martin Guggisberg, auch bekannt als Mr. Martin und in jüngerer Zeit schlicht als Guggisberg, nahm mit seiner Gitarre von der Bühne Besitz. Der Singer-Songwriter, den man ab und zu als Strassenmusikanten antrifft, spielte eigene Songs und Covers. In einem Lied ging’s um das legendäre «Gate 68» in der Seilergasse neben der St. Ursen-Kathedrale, wo sich regelmässig Musiker:innnen jeden Alters zum Jam treffen.
Als Kirsche auf der Torte oder Tüpfchen auf dem i kündigte Annika Strand schliesslich Trummer an, den man kaum mehr vorstellen muss. Ich liebe den Berner Oberländer «Zungenschlag» des Liedermachers aus Frutigen, und ich liebe das Lied, das er am Schluss seines Auftritts sang: «Chunnt scho guet» – das blablahafte dieser Floskel demaskierend, aber trotzdem die Hoffnung auf eine neue Liebe nicht aufgebend: «s’wird immer wieder Früehlig…»
Ja, bald ist wieder Frühling, und dann steht auch das nächste Open Mic im Kofmehl-Rostwürfel an: Am 2. April ist’s wieder so weit – hoffentlich diesmal zahlenmässig mit dem Publikum, das dieser Anlass verdient, und mit ein paar spontanen Auftritten von mutigen Menschen. Es muss ja nicht gleich ein Bühnen-Strip sein…
Gianni ist Blogger der ersten Stunde. Er hat schon überall geschrieben und kommuniziert. Bei der Zeitung, für den ÖV, für Spitäler, fürs Vini, jetzt für die öffentliche Verwaltung im östlichen Nachbarkanton. Wieso also nicht für zmitz – wieder. Gianni trifft man immer und überall. Darum schreibt er auch über vieles. Und das durchaus auch mal mit kritischem Blick. Aber lässt sichs auch gut gehen, wenn ihm danach ist.