Es muss nicht immer ein Museum oder eine Galerie sein – Kultur findet überall statt. In der Serie «Kultur ir Beiz» stellt zmitz-Blogger Gianni Leardini Restaurants, Bars usw. vor, in denen Kunst zu sehen ist. Heute im «Chutz» in Solothurn.

Mein erstes Mal im «Chutz» war so Mitte der 80er-Jahre, in engen Marcel Scheiner-Hosen, dem obligaten weissen Gurt und langem Haar. Damals war es mehr oder weniger das einzige Lokal am Solothurner Aaremürli – und so ziemlich der einzige Treffpunkt für mehr oder weniger junge Leute im Ausgang. Kultur stand für meine Clique nicht im Vordergrund, sondern möglichst billig und effizient die Lampe zu füllen, höchstens noch in hitzigen Diskussionen nebenbei die Welt zu retten. Da kostete die Stange Bier – konkurrenzloses Monopol-Feldschlösschen natürlich – noch weit unter zwei Franken, der weisse No-Name-Frizzante ging zum Spottpreis über die Theke, elendes Kopfweh am nächsten Morgen gab’s gratis dazu. Drinnen durfte man noch rauchen – das Sargnagel-Laster hatte ich zum Glück nie – draussen wurde gedealt und gekifft. Es ging das Gerücht um, dass die Polizei von einer Wohnung auf der gegenüberliegen Seite der Aare die Dealer und Kiffer fotografierte, um ihnen die Bilder später beim Verhör genüsslich unter die Nase zu reiben. Mir genügte der Alk gegen die Verkorkstheit der späten Pubertät – und um die verdrängte Trauer um meinen viel zu früh verstorbenen Vater zu ersäufen.

Nicht nur ihr kauziges Logo, auch sonst hat sich die kultige Beiz mit der wunderbaren Galerie seither kaum verändert. Der Sichtbeton-Bau und die Treppe mit Betongeländer waren für mich als langhaarigen Jugendlichen völlig uninteressant, als kahler Silberrücken faszinieren mich die zeitlos-moderne Architektur und das einzigartige Ambiente. Auch die Möblierung ist – glaub‘ ich – die Gleiche geblieben. Das Tischli, an dem ich schulschwänzend einen ganzen Nachmittag für meine Theorie-Autofahrprüfung büffelte, gibt’s jedenfalls immer noch. Das Rauchverbot wurde zur Freude der meisten «Chutz»-Stammgäste originell umgesetzt: Das grosszügige Fumoir im Erdgeschoss mit direktem Zugang zur Terrasse und zum Landhausquai sind jedenfalls immer gut besetzt, ich erkenne heute noch viele Leute von früher.

Was ich vor vierzig Jahren nicht wusste – und jetzt kommen wir endlich zum Thema der Rubrik «Kultur ir Beiz»: Der «Chutz» wurde 1963 vom Kunstmaler Ferdinand Kaus eröffnet, noch heute hängen einige seiner unverwechselbaren Bilder im Lokal. Den Künstler habe ich nie kennengelernt, aber seine Frau Marta, ja, die ist immer noch da und war schon immer eine Institution, mindestens so Kult wie der «Chutz» selber. Von Anfang an und auch nach dem Tod des Gründers im Jahr 1996 gab’s hier regelmässig Ausstellungen und Jazz-Konzerte – und wie ich kürzlich gelesen habe, sollen die Anfänge der Solothurner Filmtage ebenfalls im «Chutz» liegen. Heute noch finden hier Konzerte in fast allen Stilrichtungen statt, der Verein «Jazz im Chutz» leistet tolle Arbeit, Kultstatus haben die sonntäglichen Jazz-Matinees, Musik auf höchstem Niveau, nicht nur für senile Bettflüchtige.

Daneben gibt’s auch andere Kulturanlässe. So etwa die jüngste Lesung des Solothurner Schriftstellers Reto Stampfli aus seinem neuesten Buch «Zack Bumm», über das ich kürzlich für «zmitz» schreiben durfte. Wobei Lesung das falsche Wort ist: Bei Reto Stampflis Anlässen bleibt kein Auge trocken, und wie immer kommt die Musik nicht zu kurz. Diesmal mit einem fetzig-jazzigen Zack-Bumm-Quintett, das brätschvolle Lokal war begeistert. Reto Stampfli kennt «eine der wenigen richtigen Beizen, die es noch gibt» (Zitat Stampfli), noch länger als ich. Das «Du gohsch de nid i Chutz!» seiner Eltern hat er geflissentlich überhört, und schon beim ersten Besuch stellte er fest: «Do isch’s angersch aus z Etzike…». Ja, der «Chutz» ist anders als alles, und wohl jede:r Solothurner:in hat dazu eine eigene Geschichte zu erzählen. Ich bin gespannt auf eure, entweder über diesen Kanal oder bei einer Stange Feldschlösschen im «Chutz»…

Gianni ist Blogger der ersten Stunde. Er hat schon überall geschrieben und kommuniziert. Bei der Zeitung, für den ÖV, für Spitäler, fürs Vini, jetzt für die öffentliche Verwaltung im östlichen Nachbarkanton. Wieso also nicht für zmitz – wieder. Gianni trifft man immer und überall. Darum schreibt er auch über vieles. Und das durchaus auch mal mit kritischem Blick. Aber lässt sichs auch gut gehen, wenn ihm danach ist.