Was ist für dich gute Kultur, wo geniesst du sie, wie sieht dein alltäglicher, allwöchentlicher Kulturkonsum aus, was hörst, liest, schaust du? Was hast du für Erinnerungen oder Pläne? Mit dem diesjährigen Kultürchen wollen wir «gluschtig mache» auf Kultur. Heute mit Nadia Bacchetta.

Das waren noch Zeiten. Da tingelte ich manchmal sogar mehrmals pro Woche zum Kulturerlebnis. Oft zum Konzert, ab und an zu einer Ausstellung. Es gab auch längere Zugfahrten für einen speziellen Film oder ein Theaterstück fernab der grossen Bahnhöfe. Festivals wie Film- und Literaturtage zog ich mir jeweils im Marathonmodus rein.

Danach war ich meistens nachhaltig inspiriert, oft berührt und nicht selten überfordert.

Aber eben, das waren noch Zeiten.

Heutzutage bin ich als Musikerin abends und an den Wochenenden oft selbst am Arbeiten. An den freien Abenden lädt das Sofa zu Hause allzu verlockend zum Fläzen ein. Oder es häufen sich die administrativen Pendenzen und rufen mich an den Laptop, anstatt in den Ausgang. Nicht zuletzt ging die Frequenz der Kulturbesuche markant runter, als die Kinder in mein Leben kamen.
Aber gerade unsere beiden Kinder haben mir mit ihren wachen Sinnen und ihrer Lust auf Neues in den vergangenen Jahren den Blick auf das Kulturerleben geweitet. Anstatt eine dreistündige Opernhausvorstellung, gibt’s 45 Minuten Familienkonzert, dessen Poesie mich verzaubert. Meine Playlist – Opfer des Musikgeschmacks des Nachwuchs – spielt mir Neuentdeckungen zu, die zu Herzen gehen und mich als Ohrwürmer tagelang unterhaltend heimsuchen.

Aber so richtig geflasht hat mich vor kurzem der Grund eines Abstechers übers ausnahmsweise arbeitsfreie Wochenende nach Aosta. Ausnahmsweise auch ohne Kinder fuhren wir in die norditalienische Kleinstadt zum Konzert. Dort sassen wir dann im ausverkauften städtischen Theater in Erwartung des Künstlers und der Première seines neuen Albums. Der liess sich jedoch Zeit und den vollen Saal eine geraume Weile warten, bis sich dann der Vorhang für die zweieinhalbstündige Show hob: Vinicio Capossela betrat die Bühne in einem Outfit, als ob er geradewegs aus einer Zirkusmanege oder einer Bar in einem Fellini-Film stamme. Seine Musik lässt sich kaum in ein einziges Genre pressen: Seine Stimme klingt mal nach Paolo Conte, mal nach Tom Waits. Die Musik zwischen Balkan-Brass oder traditionellem Jazz. Mit einer ganz eigenen Art von Charme und einer ziemlich kuriosen Show zwingt Capossela – wie ein fröhlicher Exorzist – das Publikum förmlich zum Mitmachen. Es ist schwer zu sagen, ob er vor allem als Sänger, als Schauspieler oder als Geschichtenerzähler auf der Bühne stand.

Vielleicht mögt ihr das selber herausfinden? Vinicio Capossela macht für ein einziges Konzert einen Abstecher in die Schweiz. Also, wer Lust hat auf einen trashigen Abend, am 17. Februar 2025 gibt’s den Tausendsassa in Zürich im Kaufleuten zu hören und sehen. Bis dahin werde ich versuchen mein Italienisch aufzumöbeln. Und vielleicht stelle ich dann fest, dass diese verrückten Wortspielereien zu absurd sind, um einen Sinn zu ergeben. Henusode…

Nadia Bacchetta ist Organistin und Veranstalterin. Sie geniesst Kultur – mit Radio zum ersten Kaffee am Morgen bis zur nächtlichen Übsession – vor allem klingend, dafür rund um die Uhr.