Was ist für dich gute Kultur, wo geniesst du sie, wie sieht dein alltäglicher, allwöchentlicher Kulturkonsum aus, was hörst, liest, schaust du? Was hast du für Erinnerungen oder Pläne? Mit dem diesjährigen Kultürchen wollen wir «gluschtig mache» auf Kultur. Heute mit Sabrina Moser.

Das Weihnachtsoratorium von Bach, mit Soli, Singknaben und Orchester ist lang, komplex und vielfältig und deshalb werden in feinstem Barockmanier unterschiedliche Teile jedes Jahr neu zusammengefügt. Festgelegt jedoch ist Teil eins: die jauchzende, frohlockende Eröffnung. Alle Jahre wieder werden die Zuschauer direkt angesprochen und regelrecht aufgefordert, in einer engelumwobenen Welt der frohen Botschaften miteinander einzutauchen.

Miteinander eintauchen, genau darum geht es mir, wenn ich über Kultur nachdenke, denn Kultur bildet sich genau hier in dem gemeinsamen Erleben heraus. Wenn ich in ein traditionsreiches Konzert gehe, ist mir die Gemeinde der Zuschauer genauso wichtig wie das, was zwischen meinen Ohren passiert.

Vor dem Konzertbeginn, fest eingemummelt in einem flauschigen Wintermantel, lausche ich den sich überkreuzenden Tonleitern des stimmenden Orchesters. Dabei lasse ich mein Blick ebenso durch das Kirchenschiff schweifen. Nach oben schaue ich zu den Heiligen, die wahren Stammgäste dieses Abends. Währenddessen füllen sich um mich herum die Reihen mit diesseitigen Gestalten, worunter ich viele Gesichter aus meinem Alltag erkenne. Wir sind alle an dieser nebeligen Dezembernacht hierhergekommen, um teilzuhaben an einem Solothurner Ritual. Diese Wahlfahrt innerhalb der eigenen Stadtmauern gibt uns Halt und Zuversicht in einer Welt der ständig wechselnden, sich überkreuzenden Möglichkeiten.

Alle Jahre wieder, es ist ja ein Klischee, das schnell mit Engelkitsch und Familienzwang assoziiert wird, aber für mich ist das Wiederholende genau das was Kultur ausmacht. So wie im warmen Wintermantel fühle ich mich eingebettet in einer familiären Klangwelt, die, obwohl bekannt, doch jedes Jahr mit anderen Schattierungen und Nuancen wieder neu erklingt. Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, so der Philosophen Heraklit im 5. Jahrhundert vor Christus. Man kann auch nicht zweimal das gleiche Musikstück erleben. Schliesslich sind wir Zuschauer auch jedes Jahr voller neuen Impulsen und neuen Hoffnungen, die nur mittels Kultur frohlockend ans Licht gelangen.

Als gebürtige US-Amerikanerin geht Sabrina Moser in der alten europäischen Kulturwelt völlig auf. Nach längeren Abstechern in Spanien und in der Schweiz lebt sie mit ihrer Familie in einer deutschen Mittelstadt, wo sie sich für interkulturellen Austausch und für ein aufblühendes Gemeindeleben einsetzt.