In vier Monaten feiert im Passionsspielhaus Selzach die diesjährige Sommeroper «Carmen» ihre Premiere. Im Hintergrund wird aber schon fleissig gearbeitet. Blogger Ruedi Stuber durfte den Bühnenbildnern über die Schulter schauen.
Oskar Fluri, Bühnenbildner, kann nicht sagen, wie viele Produktionen er schon mitgestaltet hat. Es dürften über 70 sein. Er ist rastlos an der Arbeit, hat gelegentlich schlaflose Nächte und wäre glücklich, wenn er sein Wissen und seine Kontakte an eine Person weitergeben könnte, die sein einzigartiges Werk weiterführt.
Fluri wirkt ruhig und besonnen. Er erklärt mir, wie er an eine neue Produktion herangeht. «De tueni eifach bäbistübele mit em Wyssmodäll».
Sobald feststeht, was gespielt wird, bespricht er sich mit der Regie. Welche Vorstellungen hat sie? Worauf legt sie besonderen Wert? Dann stellt er das sogenannte Weissmodell her: eine Bühne aus Holz und Karton im Massstab 1:20. Weiss? – Weil über Farben erst später gesprochen wird, bleibt das Modell vorerst unbemalt.
Vier Monate vor der Première darf ich in Selzach die Crew besuchen, die mit dem Bühnenbau beschäftigt ist. Claudius Reichenbach treffe ich allein in einer kühlen Halle nahe dem Bahnhof, wo verschiedenste Bühnenelemente in Arbeit sind. Ein Marmorbrunnen sticht mir ins Auge: über zwei Meter hoch, mit mehreren Düsen ganz oben, aus denen später Wasser spritzen wird. Das Becken hat kleine Sprünge. Als ich es berühre: «Styropor!» Mit Farbe hat Claudius das leichte Material in wuchtigen Marmor verwandelt. Unverwechselbar Marmor! Wo er das gelernt habe? «Ich war Restaurator. Jetzt bin ich pensioniert.» Eingestiegen sei er in Selzach erst bei der vorausgegangenen Produktion. Seine Fähigkeiten sind für die Crew wie ein Sechser im Lotto. – Bei allen Beteiligten ist der Beweggrund hier mitzuarbeiten der Gleiche: Freude und Begeisterung. Der Rest der Donnerstags-Crew stösst erst beim Znüni zu uns. Sie sind bereits «oben» am Werk – im Passionsspielhaus.
Claudius arbeitet nach dem Znüni an vier Fässern (auch hier Styropor, aus verschieden grossen Schichten zusammengefügt und auf Form geschliffen). Sie sind erst grundiert: Er trägt jetzt die Maserierung des Holzes auf: täuschend echt! Sein Werkzeug: eine Art Kamm aus Gummi, den er durch die nasse Farbe zieht. «Oski will die kleineren Fässer dunkler. Die sollen älter aussehen. Die Reifen ums Fass – in verschiedenen Grössen – liegen bereits als Kartonmuster 1:1 daneben. Es braucht eine ausgeklügelte Form, damit sie auf die Wölbung des Fasses passen.
Beim Bühnenbau arbeiten acht Frauen und 16 Männer mit, aufgeteilt in vier Gruppen. Jede Gruppe fährt dort weiter, wo die letzte aufgehört hat. «Das funktioniert problemlos. Es kristallisiert sich schnell heraus, wer was gut kann.» Am Boden liegen mehrere unbemalte Bäume: Die Formen aus verleimtem Holz sind mit blauem Styropor beklebt. Den wird Claudius später in Borke umwandeln.
Ich gehe nun mit Oskar Fluri und den vier Mitarbeitern ins Passionsspielhaus, wo es saukalt ist. Letzte Nacht hatte es Bodenfrost und die Halle ist ungeheizt. Hier geht’s ums Grobe. Von der letzten Produktion her ist das Bühnengerippe stehen geblieben. Es wird für «Carmen» umgebaut. Die Elemente sind sechs Meter hoch und müssen tragen. Deshalb ist das meiste aus Metall. Später wird wohl alles mit Holz oder «Marmor» verkleidet. «Carmen» spielt vor einer Tabakwarenfabrik. Wenn ich mir Fluris Bühnenmodell anschaue, stelle ich fest, dass das Publikum mehr als nur eine Fabrikfassade zu Gesicht bekommen wird. Einzelne freistehende Elemente können bei Umbauten schnell gewendet werden. Mich faszinieren solche Blitzumbauten immer wieder neu.
Unglaublich, was Fluri für die Umsetzung einer Idee ersinnt. Er greift in eine Schachtel und zieht das Modell von zum Trocknen aufgehängten Tabakblättern in verschiedenen Farbtönen heraus. In der Schachtel hat es noch eine ganze Reihe anderer Bilder.
Bizet hat den musikalischen Part erledigt, Fluri den visuellen. Sein Genie: Er denkt in Bildern und plant fürs Auge. Die Bilder hält er als Vorlage zeichnerisch fest und vermittelt den Mitarbeitenden damit seine Ideen. Andere erledigen solchen Arbeiten am Bildschirm. Oskar Fluri schwört auf Handarbeit. Sobald die Farbkonzepte feststehen, entwirft er die Kostüme für alle Mitwirkenden. – Die werden dann von einer anderen Crew hergestellt.
Ein immenses Räderwerk ist für die Sommeroper am Laufen: Das Bühnenbau-Team muss seine Arbeit rund zwei Monate vor der Premiere fertig haben, denn im Juni beginnen die Proben. Die Solisten brauchen Unterkünfte. Die Bühnentechnik kann erst starten, wenn die andere Infrastruktur steht. Der Vorverkauf läuft. Chor und Orchester sind am Proben. Verträge müssen unterzeichnet sein. Die Finanzen müssen im Lot bleiben. Verpflegung, Werk-Einführungen, Finanzierung, Medienkontakte…
Oskar Fluri ist im Vorfeld mit etwa 30 Mitwirkenden aus Chor und Crew extra nach Sevilla gereist, – «an den Tatort», wie er sagt – um sich vor Ort ein Bild von der Szenerie zu machen. Und von Sevilla hat Claudius Reichenbach die Ornamente heimgebracht, mit denen er in den nächsten Wochen Dutzende von Wandfliesen verzieren wird.
Infos zur Sommeroper findet man hier.
Ruedi, der heimliche Spiritus rector von zmitz. Denn es gibt nichts, was der längstjährige Kulturtäter und Musiker nicht kennt. Haben die Jungspunde im Team eine Idee, Ruedi weiss, wer mehr Infos hätte oder wen man einbeziehen sollte. Und im Zweifelsfall sind die damals auch bei ihm zur Schule gegangen. Der bekennende Kleinkunstliebhaber ist ganz gross, wenn es um das hiesige Kulturschaffen geht.