Was haben ein durchgeknallter Pianist, der «Sechseläutenmarsch» und ein Solothurner Turntable-Künstler gemeinsam? Klingt nach wenig Gemeinsamkeit? Fügte sich aber anlässlich des «Taktlos»-Festivals wunderbar zu einem Gesamtkunstwerk zusammen – findet Bloggerin Lucilia.

Taktlos wurde 1984 unter dem Titel «Festival für zeitgenössische Musik, Jazz, Freejazz und improvisierte Musik» gegründet. Heute wird eher der Begriff «grenzüberschreitende Musik» gewählt. Ich persönlich konnte mir unter beiden Begriffen wenig vorstellen. Produktionsleiterin Anja Illmaier half mir: «Für mich ist es Musik, die im Jetzt oder in unserer Zeit komponiert wurde, stilunabhängig ist und einfach im Moment entsteht.» Nicht sie ist für die Programmation des Festivals zuständig, sondern jedes Jahr übernimmt ein Kurator/eine Kuratorin den Job. Dieses Jahr ist die Basler Pianistin Vera Kappeler federführend. Drei Tage dauerte das Festival im Zürcher Aktionsraum Walcheturm. Ich habe mir den Sonntag ausgesucht, um das «Taktlos» von meiner kulturellen Bucket-List streichen zu können. An dem Tag stand nämlich mit der Teilnahme von «Strotter Inst.» ein Solothurner auf dem Programm.

Los ging es um 16 Uhr mit dem dänischen Pianisten Jeppe Zeeberg. Dieser traktierte sein Klavier so sehr, dass man kaum hinschauen konnte, er performte, er provozierte. Er war ungemütlich, um Sekunden später doch lieblich zu sein. Sein Auftritt erzeugte in mir einen Seiltanz zwischen Erstaunen, fremdschämen und Faszination. In der Pause fasste ein regelmässiger Taktlos-Besucher in Worte, was ich nicht formulieren konnte: «Er performte ohne Rücksicht auf das Publikum. Und er demontierte Jazzstücke. Beides spannend, aber nicht zu Ende gedacht.»

Auf den zweiten Teil hatte sich die Kuratorin besonders gefreut: Die Aufführung von «10 Märsche um den Sieg zu verfehlen» von Kagel. Ein Bläser-Ensemble führte das Werk auf – die Stadt Jugend Musik Zürich (SJMUZ) füllte die Lücken mit überraschenden und alles andere als starren Einschüben. Ein kreativer Mix, welcher trotz Uniformen und klassischen Bläsersätzen niemals bieder daherkam. Ein für das Festival wohl geschichtsträchtiger Moment war, als die SJMUZ den bekanntesten Zürcher Marsch einfliessen liess. Wer hätte wohl erwartet, am «Taktlos» mal den «Sechseläutenmarsch» zu hören?

Dann kam der Teil, auf den ich mich besonders gefreut hatte. Der Solothurner «Strotter Inst.» war mir schon lange ein Begriff – und ich glaube mich zu erinnern, ihn schon mal in der alten Kofmehl-Halle erlebt zu haben. Christoph Hess war im Vorfeld aufgeregt: «Ich spiele mit zwei Profimusikerinnen ein Impro-Set. Zusammen haben wir bisher noch nie etwas gemacht und unsere musikalischen Hintergründe sind sehr verschieden.» Und er ergänzte nach seinem Auftritt: «Wir haben tatsächlich keine Sekunde zusammen geübt, sondern nur ein paar Worte gewechselt und kurz erklärt, wie wir uns in das Set eingeben möchten. Das macht es spannend. Scheitern ist ja erlaubt.»

Von «scheitern» kann keine Rede sein. Zu Beginn hatte ich zwar Mühe zu begreifen, wie «Strotter Inst.» mit den präparierten Turntables und Schallplatten seine spezielle Geräuschkulisse zu den Cello-Klängen von Mara Miribung und den E-Gitarren-Riffs von Mareille Merck hinzufügte. Ich versuchte meine ganze Konzentration in sein Tun zu schicken – und siehe da: Langsam wurde mir klar, dass diese ruhige und mystische Klangkulisse nur hier und nur jetzt hörbar ist – und sich dieses Erlebnis kein zweites Mal wiederholen wird.

So endet das Taktlos-Festival ziemlich genau so, wie es Anja mir vor Beginn prophezeit hatte, als ich sie fragte, wie ich mich auf den Anlass vorbereiten soll: «Ohne Erwartung zu kommen wäre das Schönste. Die Lust zu haben, sich auf Neues einzulassen – und dann schauen, was es mit dir anstellt. Musik kann so viel, wir müssen es nur zulassen. Egal welche Stimmungen es auslöst, jede Regung ist ok!» Und so ist es ganz in Ordnung, dass ich den Anfang eher verstörend, den Mittelteil inspirierend und den Schluss mystisch empfunden zu haben. Alles darf, nichts muss – das ist für mich «Taktlos».

 

Ohne Lucilia wäre zmitz nicht zmitz. Denn im Jahr 2014 gründeten sie und Fabian den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn strahlen zu lassen. Aus langjähriger beruflicher Tätigkeit und purem persönlichem Interesse kennt sie die Kulturbetriebe der ganzen Region und denkt immer eine Nasenspitze weiter. Sie ist aber nicht nur Co-Leiterin der Redaktion, sondern auch Vizepräsidentin des Vereins zmitz.