Unser Blogger Gianni Leardini hat sich schon wieder ein Buch einer Solothurner Autorin geschnappt. «Wendeschleife» von Regula Portillo hat ihn persönlich sehr berührt.

Zwei Voraussetzungen muss ein Roman erfüllen, damit ich weiter als ein paar Seiten lese. Entweder mich packt die Handlung. Oder der Inhalt spricht mich persönlich an. Das erste war bei «Wendeschleife», dem neuesten Werk von Regula Portillo, für mich persönlich weniger der Fall. Von Oliver, der als Tourist auf der Durchreise ein paar Tage bei der Hauptdarstellerin Anna wohnt und einige Zeit mit ihr verbringt, erzähle ich nichts. Auch von den anderen Menschen im Leben von Anna nicht. Sonst wird mir wieder vorgeworfen, dass ich zu viel verraten habe. Nur so viel: Die Geschichte dreht sich um das spurlose Verschwinden von Oliver…

Dagegen haben mich gleich mehrere Themen, die der Roman anspricht, von Anfang an getriggert. Das Verschwinden von Oliver und sein Tod haben mich an meinen Vater erinnert. Er ist auch einfach «verschwunden», auf der Baustelle zusammengebrochen und gestorben, nachdem wir noch zusammen zu Mittag gegessen hatten. Von einem Moment auf den anderen war er weg, ohne die Möglichkeit eines Abschieds, da nützten auch die paar Minuten in der Leichenhalle nichts. Richtig streiten konnten wir auch nie, ich war noch zu jung, sogar das fehlt mir. Das hat mein Leben verändert, vieles wird weniger wichtig und wird relativ, denn alles kann abrupt enden oder sich massiv verändern. Carpe diem bekommt da eine ganz besondere Bedeutung, aktuell sogar noch mehr: Mein Vater ist mit 56 Jahren gestorben, in etwas mehr als einem Monat erreiche ich das gleiche Alter.

Dann das andere extrem, das im Roman angesprochen wird: das langsame, schier endlose Verschwinden, das Sterben im Altersheim, wo Anna als Pflegerin arbeitet. Meine Mutter ist seit etwas mehr als einem Jahr auch im Heim, und nach jedem Besuch stelle ich mir die gleichen Fragen wie beim Lesen von «Wendeschleife»: Möchte ich so leben? Wie misst man Lebensqualität? Wann ist ein Leben noch lebenswert? Was ist «besser»: schnell zu sterben oder quasi auf Raten und dafür länger zu leben? Was ist mit Sterbehilfe? Ist der Tod eine „Wendeschleife“ oder die Endstation? Auf diese Fragen muss jede und jeder ihre und seine eigenen Antworten finden. Vieles ist auch eine Frage der Perspektive. Dazu verwendet Regula Portillo in ihrem Roman ein schönes Bild: Das Matterhorn, das letzte Reiseziel von Oliver, das völlig anders aussieht, je nachdem von welcher Seite man es betrachtet.

Ob das Buch lebensbejahend ist, wie im Buchdeckel steht, ist von der Sichtweise abhängig, auch das ist nicht für alle Leser:innen gleich und eigentlich irrelevant. Lesenswert ist es auf jeden Fall, weil es eben zum Nachdenken anregt und zur Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Vorstellungen, mit dem eigenen Leben. Mit Trennung und Abschied, mit dem Alt werden und dem eigenen Tod oder dem von lieben Menschen sind wir alle irgendwann konfrontiert. Darauf vorbereitet sind wir nie. Aber es schadet sicher nicht, sich darüber ein paar Gedanken zu machen. Dieses Buch leistet einen wertvollen Beitrag dazu.

Mehr Info findet man hier, hier und hier.

 

Gianni ist Blogger der ersten Stunde. Er hat schon überall geschrieben und kommuniziert. Bei der Zeitung, für den ÖV, für Spitäler, fürs Vini, jetzt für die öffentliche Verwaltung im östlichen Nachbarkanton. Wieso also nicht für zmitz – wieder. Gianni trifft man immer und überall. Darum schreibt er auch über vieles. Und das durchaus auch mal mit kritischem Blick. Aber lässt sichs auch gut gehen, wenn ihm danach ist.