Ein goldener Kubus steht nahe der Aare im Attisholz-Areal. Drin die Ausstellung «Retrospektive Attisholz 23». Sie ist, wie fast alles im heutigen Areal, temporär. zmitz-Blogger Ruedi Stuber hat sie sich angeschaut.

Werne Feller und Claudia Brander – sie haben die Ausstellung Ausstellung «Retrospektive Attisholz 23» gestaltet – öffneten am 21. Mai das schwere eiserne Tor des ehemaligen Trafo-Hauses für die Öffentlichkeit.

 

Auf drei Etagen begegnet man in grossen Räumen – jeder in anderer Farbe – Graffiti, die als Gebäudeteile aus ihrer ursprünglichen Umgebung herausgetrennt oder als grossformatige Fotos projiziert werden. Der Verein BTS (Beneath the Surface) – eine Künstlergruppe aus der Region – erhielt 2016 Gelegenheit, das Attisholz-Areal für eine gewisse Zeit künstlerisch umzugestalten: Riesige graue Gebäudekomplexe, verwinkelt und Tetris-artig verschachtelt, marod und ausgeweidet.

Dem Verein ist es aber gelungen, der verlassenen Industrielandschaft neues Leben einzuhauchen und damit öffentliches Interesse zu wecken. So entstanden die Ausstellungen «Kettenreaktion 1 und 2», die über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen erregten: mit monumentalen Graffiti, auch Street- oder Urban Art genannt.

Die soeben eröffnete Retrospektive fasst ausgewählte Werke der «Kettenreaktionen» zusammen: luftig gruppiert im goldenen Monolith. Diesmal als Indoor-Ausstellung. Wie überall auf dem Areal, stehen in den farbigen Räumen des ehemaligen Trafohauses monumentale Graffiti mit baulichen Relikten der alten Fabrik im Dialog. Und in Anlehnung an die Präsentationsweise auf dem Fabrikareal planen die Kuratoren, einzelne Werke der Ausstellung nach einer gewissen Zeit durch andere zu ersetzen.

Sieben Jahre nach dem Start mit BTS tritt die Transformation auf dem Areal in eine neue Phase. Aus der Industriebrache soll in einer langen Entwicklungsphase ein neuer, belebter Dorfteil von Riedholz entstehen (darüber hat vor kurzer Zeit auch Blogger-Kollege Gianni geschrieben).

Mitinitiant Werne Feller verglich die ersten auf dem Gelände entstandenen Graffiti mit Pionierpflanzen, die aus den Ritzen der grauen Mauern hervordrängten und allmählich vom Gelände Besitz ergriffen haben. Neben den Graffiti steuerte das Zürcher Immobilienunternehmen Halter AG als neue Besitzerin des Areals später Pionierpflanzen baulicher Art bei: einen grosszügigen Spielplatz, den Treffpunkt, die Kantine und eine Arena mit Platz für gegen 1000 Personen. Und nebst einladendem Begegnungsraum sollen in den nächsten drei Jahrzehnten wuchtige Wohn- und Gewerbebauten folgen.

 

Die Retrospektive schliesst das Projekt «Campus Attisholz» ab. Sie zeigt die faszinierenden Werke der letzten sieben Jahre, diesmal in einer neuen musealen Umgebung. Besuchern, denen das Attisholz-Areal vertraut ist, wird das Aha-Erlebnisse auslösen. Zwei Bildbände dokumentieren die beiden «Kettenreaktionen» und im Oktober 2023 soll die Reihe mit einem dritten Band zur aktuellen Ausstellung abgeschlossen werden.

Die Leute von BTS wollen die Show im goldenen Museum als Startschuss zu einem «Museum of Urban and Vandalism Art» (MUVA) verstanden haben. Ob man nun Urban Art, Street Art oder Graffiti sagt: Diese Kulturrichtung hat sich in den letzten sieben Jahren im Attisholz breitgemacht, viel Publikum angezogen, Anerkennung und positives Echo ausgelöst. Deshalb der Wunsch des Begründer-Trios Claudia Brander, Werne Feller und Gen Atem, einen künftigen Museumsstandort in der Nähe – irgendwo am Jurasüdfuss – zu finden. Die Kardinalsfrage besteht darin, wie man Graffitikunst archivieren kann, wenn sie nicht mehr dort hängt, wo sie ursprünglich hingesprayt wurde.

Die monumentale Schildkröte – lange Zeit ein Wahrzeichen des Areals – ist verschwunden. Wer sie gesehen hat, wird das beeindruckende Ungetüm vermissen. Ein Museum, wie es mit MUVA angedacht ist, könnte sie für ein späteres Wiedersehen reanimieren.

«Retrospektive Attisholz 23»: auf dem Aareplatz, Attisholz-Areal Nord. Öffnungszeiten: jeweils sonntags von 11-16 h bis im Oktober 2023

Ruedi, der heimliche Spiritus rector von zmitz. Denn es gibt nichts, was der längstjährige Kulturtäter und Musiker nicht kennt. Haben die Jungspunde im Team eine Idee, Ruedi weiss, wer mehr Infos hätte oder wen man einbeziehen sollte. Und im Zweifelsfall sind die damals auch bei ihm zur Schule gegangen. Der bekennende Kleinkunstliebhaber ist ganz gross, wenn es um das hiesige Kulturschaffen geht.