Literaturtage-Samstag: zmitz-Blogger Ruedi Stuber kommt sich nicht mehr als Debütant vor. Auf zur Runde zwei der Erkundungstour und damit zum zweiten Vergleich mit den Filmtagen, die Ruedi bestens kennt.*

Die langen Schlangen vor den Lokalen schrecken nicht ab. Denn: Kurz vor Lesungsbeginn füllen sich die Säle schnell. Die Ticketkontrolle geht rassig. Kaum jemand bleibt vor verschlossenen Türen. Grossartig für alle Schreibenden, auf so grosses Interesse zu stossen.

Cinéasten alter Schule schauen sich Filme in Rudelkonsumation an: Im vollen Saal vor der Grossleinwand. Im Gruppenerlebnis lasse ich mich von den Reaktionen der anderen Leute im Saal mitreissen oder zumindest beeinflussen. Bücher lese ich mit Vorliebe auf dem Kanapee im stillen Kämmerlein. (Nicht umsonst hat Endo Anaconda sein Buch «Sofareisen» genannt.)

Lesungen, wie die Literaturtage sie bieten, sind Ausnahme. Eigentlich schade, denn auch hier wirkt ein Rudelerlebnis beflügelnd und inspirierend. Da wird mir vorgelesen. Ich höre zu, habe keinen Einfluss auf Tempo, kann nicht zurückblättern. Dennoch: Beim Gruppenerlebnis geht vieles unter die Haut. Und die Autor:Innen buhlen während ihrer Lesung diskret um einen Bücherkauf. Anders beim Film: Wer im Saal sitzt, hat für den Film an der Kasse bereits bezahlt. Im Kino steht die Regie im Fokus. Hier zählt, wie erzählt wird: mit welchen Akteuren, stilistischen Mitteln, Dialogen, Schnittkadenz, mit welchen Tricks. Wer die Story ersonnen hat, ist zweitrangig.

Anders an den Literaturtagen: Hier erleben wir die Urheber:Innen. Sie haben den Plot ersonnen. Toll: Neben der Festivalatmosphäre erhalten Besucher:innen sowohl bei Film- als auch Literaturtagen Backgroundinformationen aus erster Hand: Alex Capus winkt ab, als Manfred Papst behauptet, die Protagonistin in «Susanna» sei Privatsekretärin von Sitting Bull gewesen. Er erläutert eloquent, warum das eben gerade nicht so gewesen sein kann. Das ist bei Festivals das Salz in der Suppe: Gute Moderationen lösen einen Dialog aus, der kurzweiliger und mitreissender nicht sein könnte. Capus kommt in Fahrt und berichtet, wie bei ihm Romane entstehen, wie er sich in den Stoff hineinkniet, oben links bei der ersten Seite beginnt und dann durchschreibt bis zur letzten Seite ohne Textteile zu verschieben. Das Kraft- und Lustvolle, die Ironie, die wir aus Capus‘ Büchern kennen, erleben wir hier, wenn er im Gespräch über seine Arbeitsweise berichtet. Und nachher fühlt er sich leer und glaubt, jetzt sei alles draussen und es gebe für ihn nichts mehr zu schreiben auf dieser Welt.

Ein Wein schmeckt anders, wenn ich den Weinbauer kenne, ein Bild anders, wenn mir der Maler seine Philosophie verraten hat und wenn ich Film- oder Buchautor:in sprechen gehört habe, nehme ich Bilder und Sätze anders auf. Die Hauptpersonen kommen mir vertraut vor. Ich habe beim Lesen gar den Klang der Stimme der Autorin im Ohr.

Die St. Ursentreppe: Ideale Zuschauertribüne für die Openair-Lesungen. Vor allem, wenn die Meteorologie die Luft angemessen temperiert und sich die Bise in Zurückhaltung übt. Dicht gedrängt sitzen Massen auf der harten Treppe und ringsum brandet der Hauptgass-Samstag. Die Literaturshow stoppt einzelne Shoppende, keine Literaturfreaks zwar, aber sie setzen sich hin und lauschen verzaubert vor grandioser Kulisse. Dieses Privileg fehlt den Filmtagen: Openairkino im Januar? Lieber nicht.

 

Ein Wort sticht bei den vielen Moderationsgesprächen, die ich gehört habe, heraus: «Genau». Das lässt sich überall elegant einflechten. Tipp: Wenn dir eine Aussage misslungen ist: Sag einfach «genau». Ich sage dem Wort eine grosse Zukunft voraus. Genau. Das musste noch gesagt sein.

Je länger ich zwischen Landhaus und Kronenplatz verharre, desto mehr Details kommen mir in den Sinn, die Film- und Literaturtage vereinen oder unterscheiden. Was mir Rico Engesser – zusammen mit Nathalie Widmer Co-Leiter der Literaturtage – verrät, macht Freude: Film- und Literaturtage wollen enger zusammenarbeiten. Beide Institutionen haben sich aus schwierigen Situationen heraus neu formiert und gewährleisten damit, dass Solothurn auch künftig stolz darauf sein kann, wenn es seine Tage hat: Die Literatur- und die Filmtage.

* Zu Ruedi erstem Erkundungstag geht es hier.

Ruedi, der heimliche Spiritus rector von zmitz. Denn es gibt nichts, was der längstjährige Kulturtäter und Musiker nicht kennt. Haben die Jungspunde im Team eine Idee, Ruedi weiss, wer mehr Infos hätte oder wen man einbeziehen sollte. Und im Zweifelsfall sind die damals auch bei ihm zur Schule gegangen. Der bekennende Kleinkunstliebhaber ist ganz gross, wenn es um das hiesige Kulturschaffen geht.