Das diesjährige Kultürchen ist eine Fortsetzungsgeschichte, ein Schreibexperiment sozusagen. Teil 23 geschrieben hat Reto Koller die Illustration dazu ist von Melanie Caroline Wigger.

«Wo sind sie denn jetzt hin?»

«Das verstehe ich nicht…»

Die herausströmenden Menschen sahen sich ungläubig an, tuschelten untereinander oder wechselten verwirrte Blicke.

Nadja und Samuel standen hinter einem dicken Baumstamm und beobachteten das Schauspiel aus der Ferne.

«Was machen wir jetzt?», fragte Nadja, die Stimme leicht zittrig.

Samuel zuckte mit den Schultern. «Ich weiss auch nicht. Ich kenne diese Leute nicht. Du etwa?»

Sie schüttelte den Kopf.

«Die sprechen alle Deutsch, sind also nicht von hier», fügte er hinzu. «Ich frage mich langsam, ob meine Mutter hinter all dem steckt…»

Eine weitere Minute verstrich. Nadja und Samuel sahen zu, wie die Leute suchend hinter dem Restaurant im angrenzenden Wäldchen verschwanden.

«Weisst du was?», sagte Samuel plötzlich. «Wir schleichen uns jetzt ins Gebäude, die Leute sind ja weg. Dann sehen wir nach, was in dem Saal vor sich geht.»

Nadja kaute nervös auf der Unterlippe herum und sah ihn an. «Ach ich weiss nicht…»

«Na komm schon? Was soll denn schon passieren?»

Nadja lächelte gezwungen, willigte aber ein. Samuel packte sie sanft am Arm und führte sie über die Strasse zum Restaurant. Als sie über die Türschwelle traten, blieb Samuel kurz stehen und lauschte. Kein Geräusch.

Behutsam schlichen sie die Treppenstufen hinauf und blieben mit klopfendem Herzen vor der Saaltür stehen.

Samuel schielte zu Nadja, drückte dann die Klinke nach unten und gab der Tür einen leichten Stoss.

Sie erstarrten.

Mitten im Raum, umgeben von unzähligen Kerzen und goldenem Licht, stand der Engel in Weiss, in den Händen hielt er ein in Decken gewickeltes Bündel.

 

Reto Koller arbeitet für eine grosse Versicherung und schreibt in seiner Freizeit Bücher. Bisher hat er drei Romane veröffentlicht, die alle im Norden Norwegens spielen.

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