Das diesjährige Kultürchen ist eine Fortsetzungsgeschichte, ein Schreibexperiment sozusagen. Teil 21 geschrieben hat Vanessa Simili, die Illustration dazu ist von Melanie Caroline Wigger.
Nadja knallt die Tür sogleich wieder zu. «Überraschung? Nein, danke! Ohne mich», jagt es ihr durch den Kopf. Ehe sie sichs versieht, ist sie die Treppe wieder runtergestürzt. Sie läuft zum Auto. Nichts wie weg! Wohin? Sekundär. Einfach mal losfahren. Mit zitternden Händen sucht sie nach dem Schlüssel, tastet ihre Manteltaschen ab. Dass sie ihn ausgerechnet jetzt nicht finden kann! Sie muss ihn in der Hektik verloren haben. Oder hat Sämi ihn eingepackt? Sie und die Schlüssel, ein Kapitel für sich. Sämi wiederholt es alle zwei Tage, wenn sie an der Türschwelle leicht genervt fragt: «Sämi, weisst du, wo mein Schlüssel ist?» Dass er diese Frage nicht mehr hören kann, weiss sie. Und doch schafft sie es nicht, sie zu verhindern. Dass ihr dieser verdammte Schlüssel ausgerechnet jetzt die Flucht vermasselt, das ist schon fast gemein. Sie wütet, Tränen schiessen ihr in die Augen. Sie hätte es wissen müssen, dass dieser Brief Ungutes verheissen würde. Le Landeron! Dass sie nicht früher die Alarmglocken läuten hörte. Dies blöde Hütte! Sie wollte sie nicht. Warum konnte Marie-Luise das nicht verstehen? Auch als Weihnachtsgeschenk wollte sie das Haus nicht. Nicht gestern, nicht heute. Erbe ist kein Geschenk. Was morgen sein würde, weiss sie nicht. Aber heute, kurz vor Weihnachten: Nein, danke!
Vanessa Simili ist Journalistin, Texterin und Medienpreisträgerin mit ihrem Projekt über «Frauen in der Landwirtschaft».