Das diesjährige Kultürchen ist eine Fortsetzungsgeschichte, ein Schreibexperiment sozusagen. Teil 14 geschrieben hat Reto Sperisen, die Illustration dazu ist von Melanie Caroline Wigger.
Doch sie scheint mich nicht zu hören. Nadja hat sich wieder in unser Bett verkrochen und die zartrosa Bettdecke mit den Luftballons darauf über ihre Nase gezogen. Ihre pitschnassen Plüschpantoffeln liegen durchnässt vor dem Bett. Mein Blick streift den Wecker auf dem Nachttisch, dessen Leuchtziffern 00.22 anzeigen. Ob sie immer noch sauer auf mich ist? Hat einen Alptraum, wacht schweissgebadet auf und ich Arsch bin im Wald. Es ist nicht das erste Mal, dass sie mich braucht und ich nicht da bin. Wahrscheinlich habe ich die Ohrfeige an der Haustüre mehr als verdient. Jetzt hingegen nähme ich nur den Kuss. Ich betrachte die S-förmige Gestalt unter der Bettdecke und wünsche mir Nähe. Nähe zu Nadja. Oder einfach nur Sex? Ein Wunder? Dann ist sie doch nicht schwanger, geht mir durch den Kopf, während ich erneut aus dem Schlafzimmerfenster starre. Jetzt hätte ich Lust, eine Zigarette anzuzünden. Ich krame in meiner Jackentasche und in dem Moment sehe ich ihn: den Weihnachtsengel. Hier. In unserem Garten. Also hat Nadja ihn auch gesehen? Seine Worte «Ich habe was vor mit dir» kommen mir wieder in den Sinn. Ich fixiere ihn. Er zwinkert mir zu und legt auf den schneebedeckten Strunk vor dem Fenster – ein Couvert.
Reto Sperisen ist Lehrer und Kommunikationstrainer. Er wirkt im Vokal-Trio simple voicing mit und ist Gründer des Solothurner Impro-Theaters ImproVISION.