Das diesjährige Kultürchen ist eine Fortsetzungsgeschichte, ein Schreibexperiment sozusagen. Teil 12 geschrieben hat Myriam Brotschi Aguiar, die Illustration dazu ist von Melanie Caroline Wigger.

Ich blicke zuerst in die Richtung ihres Zeigefingers, dann in ihr Gesicht. Wie süss und wie unschuldig sie in ihrem Erstaunen, ihrer Ratlosigkeit und mit ihrem vom Schlaf zersausten Haar ist. Man sieht ihr die 47 Jahre wirklich überhaupt nicht an. Ich umarme sie und in meine Umarmung lege ich meine ganze verworrene Liebe für sie, meine Entschuldigung für die Flucht in den Wald und die Vorfreude auf unser Kind. «Ist es nicht ein Wunder?» flüstere ich liebestrunken an ihrem Ohr. Nadja zwängt sich mit einem unwirschen Laut aus meiner Umarmung, schiebt mich einen Meter zurück und schaut mich entgeistert an. «Ein Wunder? Wovon ums Himmels Willen sprichst du?» Ihre Stimme ist zu laut für die Stille, die uns umgibt. Ich lege meinen Finger vor dem Mund. Sie zischt «Ich sage dir, dass hier eben noch einer sass und durch unser Schlafzimmer gaffte und du sprichst von einem Wunder? Also wir reden wirklich nur noch aneinander vorbei.» Aufgewühlt dreht sie sich um, ich packe sie am Arm. «Halt, nicht so schnell: wen oder was hast du denn gesehen?» Sie blickt zum Baumstrunk. «Sämi, ich habe wirres Zeug geträumt, bin aufgewacht, stand auf, ging ans Fenster und ich schwöre dir, sie schlug ein Kreuz, da sass einer ganz in Weiss und schaute zu mir herüber, es war gespenstisch …» «Weisses T-Shirt, weisse Jeans?» Mir begann sich der Kopf zu drehen. «Genau so einem komischen Kauz, er nannte sich der Öufiengel, bin ich im Wald begegnet und ich weiss nicht, woher er dieses Wissen hat, aber er spielte auf eine mögliche Schwangerschaft von dir an.» Mein Blick haftet eindringlich auf ihrer Nasenspitze. Sie sieht mich entgeistert an. «Lieber Samuel, darf ich dich daran erinnern, dass unser letzter Sex Monate zurückliegt. Was wäre das denn? Die unbefleckte Empfängnis, oder was?» Verunsichert murmle ich: «Das wäre dann dein Weihnachtswunder.»

 

Myriam Brotschi Aguiar ist zmitz-Bloggerin, im Vorstand der Literarischen Gesellschaft Grenchen und selbständige Werbe-Texterin und PR-Journalistin.

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