Das diesjährige Kultürchen ist eine Fortsetzungsgeschichte, ein Schreibexperiment sozusagen. Teil 1 geschrieben hat Reto Stampfli, die Illustration dazu ist von Melanie Caroline Wigger.
Da ist einfach nur Wald. Undurchdringlicher, weisser Wald. Ich stecke bis zu den Knien im Schnee, meine Füsse sind eiskalt und feucht. Ich kenne diesen Wald nicht; ich kann mich auch nicht mehr daran erinnern, wie ich hierher gelangt bin. Eine aufsässige Stille liegt träg zwischen den schneeschweren Bäumen. Ich beobachte, wie der Schnee von den blattlosen Ästen herunterfällt. «Sibirien», flackert es durch meinen Kopf, obwohl ich noch nie im hohen Norden war und immerhin so viel weiss, dass ich mich sicher nicht in Russland befinde.
Ich stecke fest. Wie war ich bloss auf diese unmögliche Idee gekommen? Welcher Teufel hatte mich geritten? Ein unerklärlicher Anfall von Weihnachtswahn hatte mich gepackt. Eine adventliche Gefühlswallung, die ich mir, jetzt, hier im Wald, nicht mehr erklären kann. Das gerade ich in diese Falle tappen musste. Jahrelang hatte ich mich aus dieser emotionalen Berg- und Talfahrt heraushalten können, ich konnte als neutraler Beobachter in sicherer Distanz verweilen. Weihnachten, das war für mich längst nur noch eine folkloristische Begebenheit. Weihnachten, ein grossspuriger, trügerischer Begriff, mit dem man höchstens noch die Kinder beeindrucken konnte.
Doch jetzt stehe ich in diesem Wald und weiss nicht mehr weiter.
Reto Stampfli wohnt und wirkt in Solothurn. Er studierte Philosophie, Germanistik und Theologie und ist Lehrer an der Kantonsschule Solothurn.