Letzte Woche ist Franco Supinos neuer Roman «Spurlos in Neapel» erschienen, an dem der Autor sechs Jahre gearbeitet hat. zmitz-Blogger Fabian Gressly hat vor der Buchvernissage am Montag mit ihm über das Buch gesprochen.
Dieser Tage ist mir ein Spruch begegnet: «Lesen ist die netteste Art, seine Nase in Angelegenheiten anderer zu stecken». Verhält es sich mit dem Schreiben ebenso?
Franco Supino: Beim Schreiben ist es noch etwas mehr. Es bietet die Möglichkeit jemand zu sein, der man nicht ist. Zumindest eine Zeit lang. Zum Beispiel ein Camorrista…
Wie bist Du auf «die Angelegenheit» in deinem neuen Buch gestossen?
Supino: Einer der Auslöser war ein Buch darüber, wie das schwere Erdbeben in Süditalien von 1980 das Leben der Menschen dort bis heute prägt. Es hat auch mein Leben bestimmt: Wäre dieses Erdbeben nicht gewesen, wären meine Eltern mitsamt Familie zurück nach Italien. Wären wir ein Jahr früher tatsächlich zurück, wären wir vielleicht in einem Rione, einem Viertel, am Stadtrand untergekommen – wie meine Hauptfigur, die aus purem Zufall in eine neapolitanische Familie, in einen Clan, kommt. Dieser schwarze Junge wuchs in Neapel auf, wie wir hier in der Schweiz: Man versucht sich anzupassen. Man will sich beweisen, denn nicht jeder wird einfach so Camorrista oder Dozent.
Die Geschichte und die Figur sind zwar erfunden, haben aber reale Bezüge…
Supino: Es geht um die Auseinandersetzung rivalisierender Familienverbünde. Angefangen in den 70er- und 80er-Jahren bis in die Nullerjahre. Der Avvocato, eine Figur im Buch, begeht mit 20 einen Mord und steuert danach 40 Jahre lang aus dem Gefängnis seinen Clan. Dahinter steckt die Geschichte von Raffaele Cutolo, einem der berühmtesten Camorra-Bosse.
Wie nahe bist Du dieser Welt in Neapel gekommen? Oder ist das eine typische Frage eines Aussenstehenden?
Supino: Die Übergänge sind tatsächlich fliessend. Am Anfang kehrt der Ich-Erzähler nach dem Tod seines Vaters nach Neapel zurück, um der Stadt neu zu begegnen. Das beginnt mit Erinnerungen. Beispielsweise daran, dass der Pöstler einmal ein Päckchen mit Schokolade aus der Schweiz brachte und sein Nonno dem Pöstler etwas davon abgab. Warum sollte der Postbote von der Schokolade was abbekommen? Das war für den Nonno ganz normal, für den in der Schweiz Aufgewachsenen absolut unverständlich. Umgekehrt ist ein Steuerbetrüger für den Schweizer Ich-Erzähler ein Krimineller, Für einen Neapolitaner ist das normal. Ich rede also nicht primär der Camorra-Welt, wie wir sie in Filmen oder Serien erleben. Auch wenn in meiner Mafia-Geschichte auch gemordet wird.
Deine letzten Bücher richteten sich mehr an Jugendliche. Nun, nach über zehn Jahren, erscheint ein Roman, der sich in erster Linie an Erwachsene richtet. War das ungewohnt?
Supino: Prinzipiell mache ich keinen Unterschied. Wenn ich ein Buch für Kinder schreibe, muss es auch Erwachsenen gefallen. Das ist, wie wenn ich für die ganze Familie koche: Ich selbst muss es ja auch essen. Aber klar: Gewisse komplexe Dinge kann man anders gestalten oder auch die Themenwahl fällt anders aus. Es gibt aber auch Themen, die ich wieder aufnehme: «Mino und die Kinderräuber» (schau hier) war auch die Geschichte meines Vaters, der während des Zweiten Weltkriegs hungern musste. In «Spurlos in Neapel» bestehen Verbindungen dazu.
Oft sind es Themen rund um Herkunft und Zugehörigkeit – oder eben nicht-Zugehörigkeit. Es geht in deinen Büchern immer auch um den Erzähler und seine Geschichte.
Supino: Ich kann keinen Krimi schreiben, der im 17. Jahrhundert angesiedelt ist. Andere können das, aber ich nicht. Ich muss einen Stoff gut kennen, um ihn verdichten zu können. Sonst wirkt das Erzählte hohl. Das wirkt dann oft autobiografisch, hat aber damit nichts zu tun.
Du warst eben in Neapel, hast zu einem Foto auf Facebook geschrieben, Du seist «verloren und zweifelnd». Wieso?
Supino: Ich habe sechs Jahre lang an diesem Text gearbeitet. Wenn ich in dieser Zeit in Neapel war, konnte ich mir immer sagen: Das nimmst du vielleicht auf. Oder das. Jetzt geht es nicht mehr. Das Buch ist fertig, ich kann nichts mehr ändern, anfügen.
Am Montag ist Buchvernissage. Wo auf der «Nervositäts-Skala» steht das Ereignis im Verhältnis zur Abgabe des Buchs, zum Moment, in welchem es in den Druck geht, zu jenem, in welchem es vorliegt?
Supino: Es gibt in Solothurn ein grosses «Problem»: Es wird nicht zu verhindern sein, dass ich alle Besucherinnen und Besucher kenne. Das macht das Ganze speziell. Sie fragen sich, wo in diesem Buch Franco drinsteckt und wo nicht. Das ist aber ganz normal und ginge mir auch so.
Die Buchvernissage von «Spurlos in Neapel» am kommenden Montag, 24. Oktober, ist bereits ausverkauft. Das Buch gibt’s aber hier zu bestellen. Weitere Lesungen: Sonntag, 30. Oktober 2022, 16 Uhr, Kulturzentrum Schützi, Olten, und Freitag, 11. November 2022, 20 Uhr, Aula Schulhaus IV, Grenchen. Mehr Infos auf der Website von Franco Supino. An den Freitagen, 18. November resp. 16. Dezember (je 20 Uhr) gibts im Theater Delly mit «Campo Napoli – Der Vesuv dampft? Explodieren wird er erst morgen!» Texte von Franco Supino und Musik von Basso Salerno (Akkordeon/Gesang) sowie Marcel Kruzi Wyss (Sopransax). Details hier.
zmitz würde es ohne Fabian nicht geben. Denn im Jahr 2014 gründeten er und Lucilia den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn sichtbar zu machen. Fabian erzählt unter anderem die Hintergrundgeschichten. Denn auf dem Kulturparkett fühlt er sich wohl, kennt die Kulturschaffenden mindestens genau so gut wie die Kulturveranstalter und weiss auch um kulturpolitische Zusammenhänge. Als Blogger ist er in allen Sparten zuhause. Er ist aber nicht nur Co-Leiter der Redaktion, sondern kümmert sich als Präsident des Vereins darum, dass auch formal bei uns nichts aus dem Ruder läuft.