Die Gewaltigkeit, mit der das TOBS in seiner «Faust I»-Inszenierung das Publikum überfährt, ist immens. Nimmt man sie, befreit von der Erinnerung an einen Literaturklassiker, einfach so auf, findet man durchaus Gefallen an ihr. Findet zumindest zmitz-Blogger Fabian Gressly.

Wahnwitzig – dieses Attribut schwebt über der «Faust I»-Inszenierung des TOBS, die seit gestern Donnerstagabend im Stadttheater Solothurn aufgeführt wird. Was Nis Søgaard und die Darsteller*innen auf die Bühne bringen, ist zuweilen fast schwer ertragbar. Und das ist gut so. Denn so schwer das, was auf der Bühne passiert, stückweise aufzunehmen ist, so sehr holt es «Faust» beispielsweise aus der langfädigen Deutschstunde im Schulzimmer. Und es zeigt das Stück, wie «Faust» daherkäme, wäre Johann Wolfgang von Goethe kein Vertreter des grossen Volks der Dichter und Denker, sondern ein psychedelischer, allerlei Drogenkonsum verfallener Hippie-Autor, der im kalifornischen Hinterland in einem diffusen Bewusstseinszustand ein Stück hinknallt. Eine Art sächsischer Hunter S. Thompson sozusagen. Doch der Reihe nach…

Die Geschichte ist – nicht zuletzt dank vieler Zitate, die Eingang in unsere Sprache gefunden haben – bestens bekannt: Der Gelehrte Faust, ab seinem eigenen intellektuellen und existenziellen Scheitern frustriert, schliesst mit dem Teufel einen Pakt. Mephisto – der Teufel – soll Faust ins echte Leben führen. Faust lernt leben und lieben – und zwar das brave Gretchen. Mehr oder weniger hinterlistig verführt er das junge Mädchen, schwängert es, zieht es in seine Welt des Haderns hinunter und muss es, des Kindsmords verurteilt, im Gefängnis zurück- und sterben lassen.

Ganz so stringent ist die Inszenierung am TOBS, wie Dramaturgin Svea Haugwitz selbst einräumt, nicht. Das erste Bild, ehe die Geschichte überhaupt beginnt, macht dem Publikum schon ansatzweise klar, was da hinter dem Vorhang lauert: Vier Masken liegen ausgelegt auf einem Tisch – «Maskenpflicht», ist man in heutigen Zeiten geneigt zu denken. Denn die Inszenierung ist als Masken-, Figuren- und Bildtheater (wie das Jonathan Gentilhomme und Lili Laube geschaffen haben, hat zmitz im Dezember gezeigt) umgesetzt, das den verschiedenen Ebenen des Stoffs Freiraum bietet, sich in der relativ kurzen Spielzeit von 90 Minuten auszudrücken. Mit diesem «Kniff» gelingt es einerseits, die Psyche der Protagonist*innen auf den ersten Blick zu erfassen. Ist Faust gerade als Draufgänger unterwegs, als zaudernder Denker, als erzürnter Zeitgenosse oder von Freude erfüllt? Und Margarethe? Das führt aber – andererseits – auch zu reichlich viel Publikumsverkehr und zeitweiliger Hektik auf der Bühne. Aber eben: Auch das ist ein Ausdruck von Sturm und Drang und dessen, was im Kopf von Faust, Gretchen & Co. abläuft. Die Inszenierung von Nis Søgaard und das Spiel der (teils) eigens engagierten Darsteller*innen sind in ihrer Wahnwitzigkeit auch erdrückend apokalyptisch. Da mag die simple Assoziation an Heath Ledgers «Joker» ausreichen, da die Darstellenden hinter den Masken eine ähnliche Gesichtsbemalung tragen. Dieses Chaos vor dem Ende fordert das Publikum. Und so ist das Spiel auf der Bühne vielleicht weniger Goethe-Stoff, als vielmehr gewaltig inszenierte Sekundärliteratur. Entsprechend frei muss man sich von etwaigen Erwartungen machen. Doch dann, dann packt einen «Faust I» weitaus mehr als damals im Schulzimmer.

Weitere Aufführungsdaten und Details zum Stück online. Zu empfehlen ist die Audio-Einführung von Svea Haugwitz, die man sich beim Umtrunk vor dem Start des Stücks anhören kann.

zmitz würde es ohne Fabian nicht geben. Denn im Jahr 2014 gründeten er und Lucilia den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn sichtbar zu machen. Fabian erzählt unter anderem die Hintergrundgeschichten. Denn auf dem Kulturparkett fühlt er sich wohl, kennt die Kulturschaffenden mindestens genau so gut wie die Kulturveranstalter und weiss auch um kulturpolitische Zusammenhänge. Als Blogger ist er in allen Sparten zuhause. Er ist aber nicht nur Co-Leiter der Redaktion, sondern kümmert sich als Präsident des Vereins darum, dass auch formal bei uns nichts aus dem Ruder läuft.