Dieses Jahr schaut zmitz im kulturellen Adventskalender, was bei Kunst- und Kulturschaffenden aus der Region grad so Aktuelles läuft. Im 8. Kultürchen mit Christoph Vögele, dem Konservator des Solothurner Kunstmuseums, der in wenigen Tagen an seinen Vorgänger erinnert, ehe er bald das Haus seiner eigenen Nachfolgerin überlässt.
Ins letzte Jahr von Konservator Christoph Vögele am Solothurner Kunstmuseum fielen zwei Todesfälle: Jene von Schang Hutter und André Kamber. Letzterer war Vögeles Vorgänger, leitete als erster vollamtlicher Konservator das Haus von 1972 bis 1997. Am 12. Dezember lädt Vögele deshalb auch zu einer Gesprächsrunde in Erinnerung an Kamber. So feingeistig, wie ich Christoph Vögele wahrnehme, hat das sogleich eine Kaskade von Gedanken ausgelöst: Wie geht es ihm in dieser Zeit der Transition? In Zeiten von Gehen und Vergehen, da er selbst nach 25 Jahren das Zepter an seine Nachfolgerin Katrin Steffen übergeben wird? Und was bedeutet es überhaupt – für ihn selbst, aber auch mit Blick auf die neue Amtsinhaberin – sich in eine Reihe von Konservatoren eines solchen Hauses einzuordnen? Und deshalb habe ich ihn das direkt gefragt.
André Kambers Ableben hat bestimmt Erinnerungen bei dir an deinen Einstieg im Kunstmuseum ausgelöst. Wie war das, so kurz vor dem Ende deiner Konservatoren-Tätigkeit an deren Anfänge zurückversetzt zu werden?
Christoph Vögele: Obwohl ich wusste, dass André Kamber mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, wurde ich von seinem Tod überrascht – zumal wir aufgrund der Vorbereitungen unserer aktuellen Ausstellung und Publikation für Meret Oppenheim gerade mit ihm im Kontakt standen. Unsere Mitarbeiterin Anna Bürkli hat ihn kurz vor seinem Tod besucht, um ihn zu seiner legendären Oppenheim-Ausstellung von 1974 zu befragen. Als wir dann von seinem Tod erfuhren, haben wir uns spontan entschieden, ihm unser Buch zu widmen. Dass mein Vorgänger so kurz vor meinem eigenen Abgang als Konservator verstorben ist, hat mich an die zeitliche Beschränkung aller Dinge erinnert: sowohl einer Lebens- wie Amtszeit. Glücklich ist, wer sie nutzt und zufrieden gehen darf!
Im Nachruf auf André Kamber in der Solothurner Zeitung (hier), hast Du geschrieben, seine riesigen Fussstapfen seien für dich Motivation, Verpflichtung und Herausforderung gewesen und Du habest deinen eigenen Weg finden müssen, sein Erbe weiterzutragen. Das lässt einen generell über die Aufgabe eines Konservators, einer Museumsleitung nachdenken. Auch da Du das Zepter bald an deine Nachfolgerin, Katrin Steffen übergeben wirst. Wo ist ein Konservator, eine Konservatorin «nur» Hüter*in eines Hauses? Bewahrer*in des bestehenden Schatzes? Vielleicht auch einer Kontinuität verpflichtet? Und wo soll und darf sie oder er auch sich selbst verwirklichen und Akzente setzen, sich selbst in Szene setzen?
Vögele: Nur im Finden eines eigenen Weges kann Kontinuität ermöglicht werden: Obwohl sich Vorgänger und Nachfolgerin an derselben (prächtigen!) Sammlung als dem wichtigsten Bezugspunkt orientieren dürfen, geht es nicht um ein Wiederholen, sondern um ein Anknüpfen. Selbst die Sicht auf denselben Gegenstand unterscheidet sich von Betrachterin zu Betrachter, von Generation zu Generation. Die Vorstellung eines «Hüters» gefällt mir – solange damit nicht ein scharfer Wachhund gemeint ist. Das Haus soll offen bleiben für Neues. Damit ist auch die Sammlung gemeint, die kontinuierlich wächst und sich erneuert – und doch ihren Charakter behalten soll.
Konkreter gefragt: Welches Erbe von André Kamber hast Du weitergeführt? Und welches hinterlässt Du – in der Hoffnung, es werde ebenso weitergeführt – deiner Nachfolgerin?
Vögele: Mit André Kamber verband mich etwa dieselbe Leidenschaft für die Zeichnung. Und auch an seinen Schwerpunkt der Bildhauerei versuchte ich mit aktuellen Beispielen, etwa von Roman Signer, anzuknüpfen. Mit der Videokunst wendete ich mich einem Medium zu, dass erst in meiner eigenen Generation an Bedeutung gewann. Der erste Ankauf, den ich fürs Kunstmuseum Solothurn tätigen durfte, war 1998 eine Video-Installation von Silvie Defraoui. Zugleich begrüsste ich darin die Verbindung zur aktuellen Malerei, die ich besonders liebe. Die persönliche Sichtweise des Konservators prägt sicherlich eine Sammlung. Das überlegte Sammeln in Zusammenhängen verhindert aber Beliebigkeit. Diesbezüglich bin ich einem Grundsatz gefolgt, den bereits mein Vorgänger hochhielt: «Il faut renforcer ses forces». Ich habe keine konkreten Wünsche oder Erwartungen, wie mein eignes «Erbe» weitergeführt werden soll. Da mir persönlich die Inhalte immer mehr bedeutet haben als Event und Trend – und ich darum das Museum bis heute eher als einen Ort zum Nachdenken, Empfinden und Erinnern auffasse – , werde ich die Kontinuität einer entsprechenden Haltung gewiss mit besonderer Freude aufnehmen.
Wie ist deine Grundstimmung in dieser Zeit? Kommt Wehmut auf, etwa, wenn Du nun alle diese Dinge, die ein Konservator macht, das letzte Mal machst? Zuversicht und Aufbruchswille im Sinne des Amtes als Konservator, das quasi lediglich eine personelle Veränderung erfährt und in die Zukunft geführt wird? Vielleicht sogar Erleichterung, ein sehr einnehmendes Amt abgeben zu können?
Vögele: Das bestimmende Grundgefühl dieser letzte Monate ist meine aufrichtige Dankbarkeit: für das mir gewährte Vertrauen, für so viele anregende Begegnungen mit Kunstschaffenden und Publikum, für ein Team, das mich schon so lange, in einfacheren wie schwierigeren Zeiten, mit Wohlwollen und Engagement begleitete – und damit all das Unvergessliche von 24 Jahren möglich machte. Wer sich beruflich der Kunst verschrieben hat, mag nach der Pension etwas weniger Druck und Erwartung empfinden (zum Glück), die Bindung wird aber wohl in anderer Weise lebenslänglich währen (zum grossen Glück).
12. Dezember 2020, 11 Uhr: «Il faut renforcer ses forces», Eine Veranstaltung zum Gedenken an André Kamber (1932-2021) im Kunstmuseum Solothurn. Details hier. (Foto: Leonardo Bezzola)
zmitz würde es ohne Fabian nicht geben. Denn im Jahr 2014 gründeten er und Lucilia den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn sichtbar zu machen. Fabian erzählt unter anderem die Hintergrundgeschichten. Denn auf dem Kulturparkett fühlt er sich wohl, kennt die Kulturschaffenden mindestens genau so gut wie die Kulturveranstalter und weiss auch um kulturpolitische Zusammenhänge. Als Blogger ist er in allen Sparten zuhause. Er ist aber nicht nur Co-Leiter der Redaktion, sondern kümmert sich als Präsident des Vereins darum, dass auch formal bei uns nichts aus dem Ruder läuft.