…ballaballa? Verrückt? Entrückt? Mit «Wonderland» kratzt das Theater Orchester Biel Solothurn an der – ohnehin zuweilen schon recht durchlässigen – Grenze zwischen Normalität und Verrücktheit. Gut so, findet zmitz-Blogger Fabian Gressly. Zuweilen mal verrückt sein tut gut!

Nach dem grossen Erfolg von «D’Zäller Wiehnacht» in den letzten beiden Spielzeiten wie auch dem eigens für TOBS kreierten generationenübergreifenden Tanztheater «Mouve-Mot» knüpft das Junge Theater Biel mit einem hochgradig visuellen, musikalischen und wortkargen Theater an diese Inszenierungen an: Am Montag feiert «Wonderland» in Solothurn Premiere.

Am Stück beteiligt sind Jung und Alt, Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. «Die Darsteller*innen stehen mit ihren eigenen Energien auf der Bühne, als Spieler*in, Tänzer*in, Sänger*in, Musiker*in, Performer*in, Künstler*in, in all ihren unmittelbaren Präsenzen. Sie bringen ihre Geschichten, ihre Körper, ihre Eigenheiten und Klänge als Material mit», schreiben die Verantwortlichen etwa im pädagogischen Begleitmaterial zum Stück (hier, auch für Nicht-Lehrpersonen spannend!). Skurrile Formen und Figuren seien – ganz wie in «Alice im Wunderland» von Lewis Caroll, das als Inspiration diente – überall anzutreffen. Auf die Frage, wie weit das gehe, sagt die künstlerische Leiterin Isabelle Freymond: «Der Mensch ist ja schon extrem facettenreich und skurril, finde ich. Und zusätzlich habe ich den Darsteller*innen die Freiheit oder Aufgabe gegeben, mit den Kostümen von Dorothee Scheiffarth und ihren Fantasien zu spielen und ihre Gestalten so auftreten zu lassen, wie sie es in ihrem Alltag nicht tun würden». Also alles ganz normal? Auf diesen Begriff kommen wir später nochmals zurück…

Neben Freymont sind neben den Darsteller*innen Michael Stutz (Musik), Marc Calame (Bühne) und Michael Elber verantwortlich. Letzterer ist Leiter des Theater HORA, des einzigen professionellen Theaters mit ausschliesslich geistig Behinderten. Bekanntheit erlangt hatte dieses insbesondere durch Inszenierungen von Milo Rau.

Aber zurück zu «Wonderland». Wie viel Lewis Caroll steckt denn im Stück? «Wonderland» ist ebenso fantasievoll und unerwartet, doch allzu eng soll man sich als Zuschauer*in nicht an der literarischen Vorlage festhalten. Wer das Buch kenne, erkenne die Raupe, die Grinsekatze, den Hasen, den Hutmacher, sagt Freymond. Man muss die Figuren aber nicht kennen – und im Stück auch nicht wiedererkennen. «Denn die Geschichte erzählt sich nicht wie im Roman, sondern gerade andersherum. Bei uns ist das Publikum Alice, und darf sich auf eine fantasievolle Reise einlassen», so die künstlerische Leiterin weiter.

Dennoch eine Reminiszenz ans Buch, zumal die Passage in besagtem Begleitmaterial vorkommt:

Alice: «Aber ich möchte nicht unter Verrückte kommen.»
Grinsekatze: «Oh, das kannst Du wohl kaum verhindern. Wir sind hier nämlich alle verrückt… DU bist verrückt.»
Alice: «Woher willst Du wissen, dass ich verrückt bin?»
Grinsekatze: «Wenn Du es nicht wärest, dann wärest Du nicht hier.»

Wenn nun also alle ein bisschen verrückt sind, solange sie während «Wonderland» eine Stunde im Stadttheater sitzen, was sollen sie danach tun, um sich wieder zurechtzurücken, ehe man nach Vorstellungsende in die «normale» Welt hinaustritt? «Im Idealfall träumt man noch weiter, lässt man zu, dass es nachhallt und einen berührt.» Ausserdem wünsche sich Isabelle Freymond, «dass man dem Begriff ‹normal› etwas mehr Öffnung und Leichtigkeit verleiht.» Sie selbst werde ja sogar als nicht ganz normal angeschaut. Niemand könne normal sein, der oder die zu Zeiten von Covid ein solches Stück mit Live-Musik, das mit über 30 Menschen inklusiv, mehrsprachig und generationenübergreifend ist, auf die Bühne bringt. Letztlich sei das Vorhaben aber gelungen, findet die künstlerische Leiterin und Schauspielerin. «Dank dem wunderbaren Team. Denn ‹Wonderland› hat sich zu einem Gesamtkunstwerk des Individuellen und des Gemeinsamen entwickelt. Für die Ausführenden wie für das Publikum ist dies ein nachhaltiges Erlebnis.»

A propos nachhaltiges Erlebnis: Wer die Premiere vom kommenden Montag besucht, möge doch bitte noch ein bisschen mehr applaudieren als ohnehin schon. Isabelle Freymond hat am Tag der Solothurner Erstaufführung nämlich Geburtstag. zmitz gratuliert herzlich!

«Wonderland» im Stadttheater Solothurn. Premiere am 29. November 2021, 18 Uhr. Details und weitere Daten hier.

zmitz würde es ohne Fabian nicht geben. Denn im Jahr 2014 gründeten er und Lucilia den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn sichtbar zu machen. Fabian erzählt unter anderem die Hintergrundgeschichten. Denn auf dem Kulturparkett fühlt er sich wohl, kennt die Kulturschaffenden mindestens genau so gut wie die Kulturveranstalter und weiss auch um kulturpolitische Zusammenhänge. Als Blogger ist er in allen Sparten zuhause. Er ist aber nicht nur Co-Leiter der Redaktion, sondern kümmert sich als Präsident des Vereins darum, dass auch formal bei uns nichts aus dem Ruder läuft.