Der Graffiti Writer Gen Atem ist wieder einmal in Solothurn zu Gast. zmitz-Bloggerin Mirjam Staudenmann wollte wissen, warum sich der Künstler so oft hier aufhält und erfuhr, dass Solothurn besser ist als Zürich.

Der Zürcher Graffiti Writer und Performance-Künstler Gen Atem ist in Solothurn im Moment sehr präsent. Ab diesem Freitag stellt er zusammen mit Miriam Bossard in der Galerie Löiegruebe aus. Bekannt geworden ist er in Solothurn vor allem durch das grosse Mural von Blocher im Attisholz-Areal. Zudem hat er unlängst ein Konzert des Sinfonie Orchesters Biel Solothurn visuell inszeniert (Blog dazu hier). Ein Grund, dass Gen Atem immer wieder mal bei uns ist, ist seine Freundschaft mit dem Solothurner Künstler S213 (Werne Feller), mit dem er immer wieder Kooperationen verfolgt. Aber auch sonst ist Solothurn für den weitgereisten Künstler ein besseres Pflaster als Zürich. Seine Aussensicht auf die Stadt und was wir von einem Graffiti Writer, der grossflächig arbeitet, in der kleinen Galerie Löiegruebe erwarten dürfen, lest ihr im Interview.

War das Mural deine erste Arbeit hier in der Region bzw. wann hast du zum ersten Mal in Solothurn gearbeitet?
Gen Atem: Als Graffiti Writer war ich in den 80er-Jahren sowohl in grossen Teilen der Schweiz und Europa als auch in den USA aktiv. So habe ich überall viele Künstler*innen kennengelernt. Auch den Solothurner Künstler S213 – er kannte mich aus dieser Zeit. 2016 lud er mich ein, zusammen mit ihm und Yves Lavoyer eine Arbeit am Festival «nomen est omen» in Wangen an der Aare zu erschaffen. Ein Jahr später folgte dann die Mural «Christoph Blocher» auf dem Attisholz-Areal.

Wieso bist du in unserer Region immer wieder künstlerisch präsent?
Atem: Mit S213 verbindet mich in Zwischenzeit eine wunderbare Freundschaft. Er ist hier sehr gut vernetzt und dank ihm haben sich für mich weitere Möglichkeiten ergeben. Die Galerie Löiegruebe hat Miriam und mich aber unabhängig davon angefragt, eine Ausstellung zu machen. Miriam und ich versuchen, so oft wie möglich ausserhalb von Zürich Ausstellungen und Kunstprojekte zu machen. Die Zürcher Kunstszene empfinden wir über weite Strecken als eine Art Hamsterrad, welches sich ständig um sich selbst dreht. Dabei ist es oft so, dass Zürcher Künstler, Galeristen und Kuratoren sich so verhalten, als hätten sie es «geschafft» – dabei kennt sie aber beispielsweise in Solothurn, Luzern oder geschweige denn in der welschen Schweiz keine Sau. Von diesem Gebaren möchten wir uns distanzieren. Die Menschen empfinden wir in Solothurn im Allgemeinen als warmherziger, freundlicher und humorvoller als in Zürich und das ist wunderbar!

Was erwartet uns in der Ausstellung in der Galerie Löiegruebe konkret?
Atem: Im Rahmen unserer Ausstellungen unter anderem in New York, Paris, Tokio, aber auch an verschiedenen Orten in der Schweiz, haben wir viel fotografiert. Wir sind der Meinung, dass das Reisen den Fokus verschieben und den Blick für Neues eröffnen kann. Miriam und ich denken, dass das einer der wichtigen Gründe ist, weshalb die Menschen gerne reisen. Wir wollten dieses Phänomen untersuchen: Was haben verschiedene Orte für einen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und auf unser Lebensgefühl? Was muss passieren, damit wir die Welt auf einmal mit anderen Augen sehen? Wie wirkt sich das auf unsere Ansichten und Überzeugungen hinsichtlich der Wahrheit aus? Schliesslich haben wir in diesem Kontext verschiedenen Serien von fotografischen Arbeiten zusammengestellt und mit Farben aus der Spraydose übermalt. Diese Interventionen wirken wie Schleier über den Werken, stören die Wahrnehmung, verdecken bestimmte Aspekte der Wahrheit oder wirken auch wie eingefärbte Gläser. Wir kennen ja den Begriff der «rosa Brille». Wir setzen unseren Werken solche Filter auf und lenken die Wahrnehmung der Betrachter so in eine bestimmte Richtung.

Wie arbeiten du und Miriam Bossard zusammen? Unterscheidet sich die Arbeitsweise stark von derjenigen, die du alleine pflegst?
Atem: Seit Anfang der 80er-Jahre arbeite ich immer wieder mit anderen Künstler*innen zusammen. Diese Colaborations bereichern mich sehr. Die Zusammenarbeit mit Miriam ist aber nochmals etwas Anderes: Wir kennen uns schon seit über 30 Jahre, arbeiten als Künstler-Duo seit über zehn Jahren intensiv zusammen, sind verheiratet und haben zusammen einen Sohn.

Arbeitet ihr gemeinsam an den Werken oder wird es quasi eine Doppelausstellung?
Atem: Alle Werke sind gemeinsam konzipiert und erschaffen worden. Miriam Bossard ist für mich eine grossartige Kuratorin und mit der Art und Weise, wie sie unsere Werke in einem Ausstellungsraum installiert, hebt sie unsere Arbeit meiner Meinung nach nochmals in eine höhere Dimension. Bei der Galerie Löiegruebe haben wir ausserdem mit Daniel Eymann einen Partner, der im Umgang mit Kunst und räumlichen Situationen sehr sorgfältig und gekonnt umgeht. Wenn all diese Aspekte zusammenkommen, dann ist das einfach grossartig.

Du warst längere Zeit in New York, hast dort gelebt und gearbeitet. New York und Solothurn sind kaum vergleichbar. Gibt es aus deiner Sicht etwas Verbindendes?
Atem: Das wirklich einzigartig beeindruckende an New York ist für mich der Sound der Stadt. Er ist so schwer, laut, tief und hoch gleichzeitig in seiner Schwingung, dass er mich stets zu bewegen vermag. Von diesem Drive träume ich, wenn ich nicht in New York bin. In Solothurn setze ich mich an die Aare und bin berührt von dieser Stille. Die Faszination liegt im Gegensätzlichen und darin verbinden sich New York und Solothurn.

Und in Bezug auf die Menschen?
Atem: Ich denke, viele Menschen suchen beides: Dynamik und Ruhe, Inspiration und Entspannung. Betrachten wir schliesslich die Werke von Künstler*innen, finden wir sowohl thematisch als auch formal Teils erstaunliche Parallelen – ganz egal ob eine*r in New York oder Solothurn lebt.

Von den grossen Flächen in eine kleine Galerie: Wie unterscheidet sich die Kunst in der Galerie von jener, die grossflächig funktioniert?
Atem: Beim Werk «Christoph Blocher», welches ja das grösste Wandbild der Schweiz ist, wollten S213 und ich in der Tat ein monumentales Werk schaffen – sowohl inhaltlich als auch formal. In der Ausstellung in der Galerie Löiegruebe sind die Dimensionen klein und die Betrachter können räumlich keine grosse Distanz zum Werk einnehmen. Die installierten Werke, die räumliche Situation, die Lichtverhältnisse und die sich daraus ergebende Nähe oder Distanz zum Betrachter und die damit einhergehende individuelle oder kollektive Wahrnehmung und das entsprechende Antizipieren bilden im Grunde genommen jeweils ein Kunstwerk für sich.

Du bist beruflich als Grafiker tätig, bist Art Performer, Street Artist (Sprayer), machst Musik, stellst nun in einer Galerie aus – gibt es Grenzen für das, was Du künstlerisch tust oder existieren Grenzen nicht für dich?
Atem: Ich habe sieben Jahre als Mönch in buddhistischen Klöstern gelebt und praktiziert. Die verschiedenen Disziplinen, in denen ich mich als Künstler betätige, fundieren letztendlich in der Ebene der Menschlichkeit. Buddhismus ist für mich keine Religion, sondern eine persönliche und intime Geisteswissenschaft, welche die Funktionsweisen der eigenen Psyche beobachtet, analysiert und mit praktischen Übungen transformiert. Meine Arbeiten als Künstler sind nichts anderes als Ausdruck solcher praktischen Übungen.

Wie spielen Buddhismus und Kunst für dich zusammen?
Atem: Es ist für mich eine grosse Bereicherung als Pendant zur Meditation konkrete Werke zu manifestieren. Ein Beispiel: Das, was wir in unserem Kulturkreis als «Denken» bezeichnen, wird in den buddhistischen Schriften mit dem Sanskrit-Begriff «Samskara» umschrieben, bedeutet wörtlich übersetzt in etwa «geistig-psychische Formkräfte oder Gestaltungen» und umfasst Interessen, Willensregungen, Sehnsüchte, Tatabsichten und dergleichen. In diesem Sinne könnte man Denken als «Gestalterische Kraft» übersetzen. Als Künstler wirke ich in diesem Sinne und die verschiedenen Disziplinen wie Malerei, Fotografie, Musik, Performance, Schriftstellerei und so weiter erweitern ganz einfach meine Palette an Ausdrucksmöglichkeiten.

Gen Atem und Miriam Bossard, «truth and shadows»: bis 30. Oktober in der Galerie Löiegruebe Solothurn. Eröffnung mit Veröffentlichung der Publikation «truth and shadows» am 9. Oktober, 14 Uhr. Details hier.

 

Seit der ersten Stunde bei zmitz dabei, ist sie sich bewusst, dass Kultur nicht immer allen gefallen muss. Sie aber weiss, was ihr passt. Soll nicht heissen, dass sie auch einmal über den Tellerrand ihrer eigenen Kultursuppe hinausblickt und Dinge erkundet, die nicht unbedingt ihr Ding sind. Ihr Herz schlägt für Musik – ob ab Bühne oder Konserve – und vor allem für alles, was nicht so ganz in ein Schema passen mag. Und weil sie im Hintergrund aktiv mitdenkt, bleibt zmitz nicht so gut wie ehedem, sondern wird stets besser.