Am Donnerstag lud das Sinfonie Orchester Biel Solothurn zur Saisoneröffnungsgala in der Kiesofenhalle. Das Publikum mehrheitlich herausgeputzt für den besonderen Anlass, die Musikerinnen in schönen Abendkleidern und die Musiker in Fracks. zmitz-Bloggerin Dominique Niklaus bot sich ein besonderes Bild in diesem urban anmutenden Umfeld, dem Industriegelände Attisholz.
Endlich mal wieder was Anderes, nach dieser kulturkargen Zeit so viele Menschen und so viele Künstler*innen live auftreten zu sehen, löst unverhofft glückselige Gefühle aus. Und auch wenn ich in der letzten Zeit relativ viele kulturelle Veranstaltungen besucht habe – oh, wie habe ich das vermisst! – war ich noch gar nie an einem klassischen Konzert. Neues zu entdecken, mich in unbekannte Gefilde zu begeben, das war vor Corona eins meiner liebsten Hobbies.
Das Orchester unter der Leitung von Kaspar Zehnder betritt die Bühne, bereits jetzt wird applaudiert, genau das schätze ich an den diversen kulturellen Veranstaltungen, sie folgen ihrem eigenen Kodex. Hier ehrt man die Musiker*innen schon vor dem Konzert. Die riesige Halle wird abgedunkelt und nun kommt die Überraschung: Aus dem hinteren Teil der Halle ertönt Hiphop-Musik aus dem Ghettoblaster, die beiden Live-Performance-Künstler Gen Atem und S213 entern die Halle und beziehen ihre eigene kleine Bühne neben dem Sinfonieorchester. Leider sehe ich diese Bühne von meinem Platz aus nur schlecht, aber auf der riesigen Leinwand über dem Orchester übertragen sie ihre künstlerische Live-Performance zu den Klängen des Orchesters. «Bilder einer Ausstellung» ist ursprünglich ein Klavierkonzert, geschrieben von Modest Mussorgski im Jahre 1874. Er hat es zu Ehren seines Freundes und Malers Viktor Hartmann, der mit nur 39 Jahren gestorben ist, komponiert. Mussorgski hat so das künstlerische Werk seines Freundes vertont. Maurice Ravel hat danach die Komposition für ein Orchester arrangiert, dessen Version wird an diesem Abend gespielt.
Die ursprüngliche Idee, Bilder musikalisch zu inszenieren, wird zu diesem Anlass aber umgedreht, die Live-Performance-Künstler Gen Atem und S213 übersetzen mit «Exhibitio (Pictures at an Exhibition): ‹Self Presentation and Self Destruction›» die Musik in die Gegenwart und gewähren so einen Einblick in ihren Schaffensprozess. Sie filmen sich selbst bei ihren Aktionen, sie zerreissen Bilder, sprayen, machen Siebdruck oder trinken gemütlich auf dem Sofa ein Käffchen, während Aufnahmen einer Outdoor-Aktion gezeigt werden. All dies wird in verschiedenes Licht gehüllt, blau, grün oder rot, das kreiert zusätzlich eine besondere Atmosphäre. Die Projektion ist wirr, verwackelt oder gar auf dem Kopf, aber das passt zum Stil der beiden Künstler. Mir sind Gen Atem und S213 bekannt durch den überdimensionalen Blocher auf dem Areal, garniert mit Schweizer Kreuzen und mit einem roten Fleck bekleckert. Ihre Kunst hat «vandalistische» Züge, sie zerstören bewusst und erschaffen so zugleich Neues. Die Kombination von klassischer Musik mit modernen Kunst passt wie die Faust aufs Auge. Das Attisholz Areal und die Kiesofenhalle bieten für diesen Mix aus Klassik und Neuzeit den perfekten Rahmen. Ich bin zeitweise so ergriffen von all den Eindrücken, dass ich vor Rührung fast ein Tränchen vergiesse.
Schwieriger wird es für mich im zweiten Teil des Eröffnungsabends. Es wird das Violinkonzert von Vago Zakaryan aus dem Jahre 2016 gespielt, dafür wurde der armenische Stargeiger Sergey Khatchatryan eingeladen. Das Sinfonie Orchester wird zusätzlich aufgestockt, Praktikantinnen und Praktikanten von SON (Schweizer Orchester Nachwuchs) kommen an diesem Abend zu einer persönlichen Premiere. Es ist zwar ein einzigartiger Moment, einen Stargeiger mal live zu sehen, aber ich habe leider absolut keinen Zugang zum Stück. Meine Gedanken schweifen ab und mich plagt zusätzlich ein Hustenreiz, das ist äusserst unangenehm, insbesondere beim Solo eines Stargeigers… Aber ich konnte mich noch knapp aus der Situation retten. Auch wenn es mir musikalisch nicht gefällt, kann ich die virtuose Kunst von Geiger Khatchatryan und dem Orchester wertschätzen. Meine bescheidene Meinung verschwindet zum Glück in Standing Ovations und kaum endenden Applaus des Publikums für ein aussergewöhnliches Konzert an einem einen grandiosen Abend.
Herzlichen Dank für die Fotos an Hanspeter Bärtschi!
Was Dominique bringt, hat Hand und Fuss. Ab der eigenen Neugier überrumpelt, ist sie auch mal für Ungewohntes zu haben und scheut sich nicht, ihre Meinung kund zu tun. Vor einigen Jahren frisch nach Solothurn gezügelt, hat sie sich sofort in die Stadt und ihr Kulturleben verliebt. Sie bewahrt sich aber den Blick der Zugezogenen, der den komplett verblendeten Einheimischen manchmal abgeht. Und das ist gut so.