zmitz-Blogger Fabian Gressly hat sich bei den ersten Sonnenstrahlen aufgemacht, Reto Emchs «Arpeggio» auf dem Attisholz-Areal zu erkunden. Und wie länger er unterwegs war, sich von den Installationen in den Bann ziehen liess, umso mehr überzeugte ihn die Idee. Doch ist alles nur ein Missverständnis?
Mit seiner Arbeit auf dem Attisholz-Areal gibt sich Reto Emch musikalisch: Arpeggio, in Italienisch so viel wie «Harfe», bezeichnet die einzelne Abfolge von Tönen – eben gezupft auf dem Saiteninstrument. Er wolle, verrät Emch im Flyer zur imposanten Ausstellung, die einzelnen Installationen ebenso wie Einzeltöne des Grossen und Ganzen verstehen wissen. Und in diesem Grossen und Ganzen spielt Emch mit dem Element Wasser, das ihn seit einiger Zeit in Beschlag genommen hat und fasziniert, mit Klängen, mit sinnigen Wirkungen des Inszenierten.
Vielleicht liegt es daran, dass ich die Ausstellung «falsch herum» angefangen habe, aber bei mir schwingt eine ganz andere Wahrnehmung mit. Ich habe mit den Installationen 12 und 13 der insgesamt 16 angefangen: finster, mit dumpfen, drohenden Tropfgeräuschen. Wasser, das für uns, selbst düster inszeniert, etwas Spielerisches hat. Für andere aber eine Bedrohung ist. Verheissungsvoll hell auf der anderen Seite der Finsternis: der Ausgang. Hier geht’s in die erlösende Freiheit.
Im Raum daneben Kleider, Kleider, Kleider. Als hätte man sich eine Ladung der Caritas-Kleidersammlung geschnappt. Eine Installation mit offenen Kühlschränken, in welchen Düsen mit dem Wasser – in geradezu verschwenderischer Manier – spielen. Und eine vergleichsweise klinisch-saubere (Emch nennt das denn im Infoflyer auch «Laborsituation») Videoinstallation, welche ebenfalls Wasser zeigt. Oben stosse ich dann auf die Schiffsschraube, die in der Ecke eines der Beckens Wellen erzeugt. Auch hier lasse ich mich von den Worten des Künstlers (irre-?) leiten: «der letzte sichtbare Eindruck, den das imaginäre Schiff hinterlässt. Der Kahn hat die Gewässer bereits verlassen.» Und: «Ein Klang der Verlassenheit.»
So sehr die Arbeiten des Solothurners einen verzaubern, entführen, auch mal amüsieren und spielerisch angelegt sein mögen: Ich denke unentwegt an Flüchtlingsströme, die uns über das Mittelmeer erreichen. Oder besser: Die in der Türkei, auf Lampedusa, in Moria oder wo auch immer stranden. Wie für diese Menschen Wasser eine Bedrohung ist, während es für uns Erfrischung oder Badespass symbolisiert. (Okay, ja: in den letzten Wochen durchaus auch Verwüstung und Gefahr, aber niemals in diesem existenzialistischen Ausmass.) Wie sie über Bord von überfüllten Flüchtlingsbooten fallen und zuschauen müssen, wie das Schiff davonfährt: «Ein Klang der Verlassenheit.» Wie sie, die ohne nichts aus Afghanistan, dem Sudan, Eritrea oder sonst woher aufgebrochen sind, dank unserer Kleiderspenden etwas zum Anziehen haben. Und das alles von unserem süffisanten, verspielten Luxus begleitet. Von den Kühlschränken, von den Mulden, in welchen tagtäglich unser Überfluss entsorgt wird, den Autos, die anstelle der Scheibenwischerdüsen mit Springbrunnen die Gegend benetzen lassen – als würde ein Auto in Disney’s «Cars» weinen –, von gestapelten Pneus als Zeichen unserer verwöhnten Mobilität….
Und dann das Areal selbst: dass wir uns den Luxus leisten können, eine solche Fläche (ökonomisch) ungenutzt zu lassen. (Wohlgemerkt: Ich bin kein Wirtschaftsgläubiger. Und wer zmitz folgt, weiss wie toll ich diesen «kulturellen Müssiggang» finde. Aber im Zuge der Gedanken kam halt diese Feststellung wie von selbst.)
Nirgends habe ich Anzeichen darauf gefunden, dass Reto Emch die Absicht einer solchen Interpretation verfolgte (weder in diesem noch diesem Zeitungsartikel zu «Arpeggio»). Ich jedenfalls hatte sie und war überzeugt – jedenfalls, bis ich merkte, dass ich den richtigen «Einschlupf» in die Ausstellung verpasst hatte – dass sie der Hintergedanke des Kunstschaffenden für diese vermeintlich verspielte, leichte, zuweilen geradezu absurde Materialschlacht ist. So oder so – und jetzt, da das Wetter (wieder) mitspielt: Ein Besuch von «Arpeggio» lohnt sich! Verbunden mit dem Rundgang übers Areal, um zu sehen, was sich seit dem letzten Mal verändert hat. Verbunden mit einem Drink hüben oder drüben, mit einem Essen und vielleicht ja sogar mit einem Bad in der Aare.
«Arpeggio» vn Reto Emch; noch bis 29. August auf dem Attisholz-Areal Süd (und ein bisschen Nord).
zmitz würde es ohne Fabian nicht geben. Denn im Jahr 2014 gründeten er und Lucilia den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn sichtbar zu machen. Fabian erzählt unter anderem die Hintergrundgeschichten. Denn auf dem Kulturparkett fühlt er sich wohl, kennt die Kulturschaffenden mindestens genau so gut wie die Kulturveranstalter und weiss auch um kulturpolitische Zusammenhänge. Als Blogger ist er in allen Sparten zuhause. Er ist aber nicht nur Co-Leiter der Redaktion, sondern kümmert sich als Präsident des Vereins darum, dass auch formal bei uns nichts aus dem Ruder läuft.