Im Moment wird wieder viel darüber geredet, was die Corona-Massnahmen für die Kultur bedeuten und wie wichtig Kultur überhaupt ist. Die Frage ist irgendwie müssig, findet zmitz-Blogger Fabian Gressly.

Es gärt: Die Stimmung unter den Kunst- und Kulturschaffenden ist ziemlich mies. Mit der zweiten Welle und den diese Woche vom Bundesrat verabschiedeten Massnahmen ist an ein prosperierendes Kulturleben in absehbarer Zeit kaum mehr zu denken. Die Obergrenze von 50 (bzw. bei uns im Kanton 30) Personen pro Anlass macht Kultur vielerorts schlicht und ergreifend nicht mehr rentabel. Mit so wenigen Eintritten lassen sich die Fix- und Personalkosten nicht mehr decken.

Fixkosten? Personal? Rentabilität? Ziemlich wirtschaftstheoretisches Vokabular für Kultur, nicht? Passt doch hier gar nicht. Die sind ja selbst schuld, all die Musiker, Maler usw.. Hätten sie halt was Richtiges gelernt. Sie können ja einfach einen Job in einem richtigen Beruf suchen, um zu überleben. – Nicht, dass ich so denke oder dass ich solche Aussagen aus meinem Umfeld gehört habe. Aber es gibt sie.

Sie finden: Kultur ist Freizeit, Spass, Unterhaltung. Nice-to-have. Und darum in der Finanzierungshilfe von Bund und Kantonen auch nicht so wichtig (vergleiche mal die Zahlen des Bundesamts für Kultur und die des Seco). Überhaupt sind Kunst und Kultur als Existenzgrundlage nicht geeignet. Der Wert von Kulturschaffen ist doch so schwer zu eruieren… Und überhaupt.., es geht ja wirklich auch ohne.  – Mitbloggerin Lucilia Mendes von Däniken hat in ihrem jüngsten Blog Christophe Darbellay zitiert, der meinte, man schliesse mit Museen usw. nun Dinge und Orte, die «das Leben schön machen, aber nicht unerlässlich sind». (Das ist übrigens der gleiche, der an einem Parteitag mit einer Mitarbeiterin der Parteileitung ein uneheliches Kind zeugte. Erscheint mir persönlich ja jetzt auch eher als «nicht unerlässlich»…)

Ich finde aber: käumlich, mein lieber Freund und Kupferstecher! Kunst und Kultur sind genauso Teil unseres Wirtschaftssystems. Es gibt Menschen, die davon leben. Ich beschäftige mich viel mit Kultur, habe beruflich und privat (und natürlich in einer Tätigkeit zwischen den beiden hier für zmitz) sehr viel und sehr gern mit Kulturschaffenden zu tun. Erst vor ein paar Tagen habe ich mit einem Theaterschaffenden gesprochen, der seine Stücke nicht vor Publikum bringen kann, weil Veranstalter die Aufführungen absagen. Er kann notabene auch die Leute seiner Theatertruppe nicht bezahlen. Bildende Künstler wollen Ende November im Schlösschen Vorder-Bleichenberg aktuelle Werke ausstellen. Auch sie fürchten oft um ihre Existenz, denn das, wovon sie leben, können sie kaum tun: Ausstellen und verkaufen. Musikerinnen und Musiker beklagen «en masse», dass ihnen die Existenzgrundlage wegbricht, wenn sie nicht auftreten können (jüngst habe ich J.J. Flück dazu befragt, schau hier). Froh ist, wer von seiner künstlerischen Arbeit sowieso gar nicht leben kann und nebenher noch als Musiklehrer*in, Lehrer*in für Bildnerisches Gestalten, Deutschlehrer*in usw. usf. arbeiten muss/darf/kann/soll. *Zynismusoff*

Aber sehen wir uns die Sache nüchtern an: Wer oder was entscheidet darüber, ob etwas «systemrelevant» ist? Ob etwas wichtig ist für das Leben einer Gesellschaft? Ob es «einen Wert hat»? Meine paar Stunden Volkswirtschaft an der Uni sagen mir: der Markt. Hier werden Dinge angeboten und nachgefragt. Was nachgefragt wird, verkauft sich. Was nicht nachgefragt wird, versauert. Das gilt fürs iPhone ebenso wie für die Pastasauce im Migros. Fürs Auto ebenso wie für den Elektriker oder Metzger. Für Facebook (was immer die genau anbieten…), Disney und Banken ebenso wie für den Coiffeur, das Nagel- oder Fitnessstudio. Am «Kultur-Stand» auf diesem Marktplatz gibt es Menschen, die etwas anbieten – Musiker, Maler, Bildhauer, Autoren, Theater… – und Menschen, die diese «Güter» nachfragen – Leser, Konzertbesucher, Bildersammler… Was die Güter wert sind, ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Ein Konzert: 40 Franken. Ein Roman: 30 bis 50 Franken. Ein Bild: 2500 Franken oder auch mal ein Milliönchen. Ein Theaterbesuch: zwischen 30 und 60 Franken – aber nur, wenns ein Cüpli dazu gibt.

Wir sind offenbar gewillt, diese Preise zu bezahlen. Und damit anerkennen wir die angebotenen Kulturgüter. So, wie wir auch die Hersteller der Kultur anerkennen, ihnen eine Bedeutung, einen Wert, eine – Achtung! – Systemrelevanz geben. Die machen offenbar etwas, wofür wir gewillt sind, Geld auszugeben. Müssten wir ja nicht, wenn es uns tatsächlich nicht wichtig wäre. 2017 wurden für Kultur monatlich 354 Franken ausgegeben. Das sind 16 Mia. Franken im ganzen Land und Jahr und somit mehr als die Jahresumsätze 2018 von z.B. Kapitalisten-Dünger Syngenta, Luxuskonzern Richemont, Massentransporter SBB oder Schoko-Gigant Barry Callebaut (Wikipedia/Handelszeitung). Unsere Nachfrage nach Kultur macht deren Macher zu Profis, zu Menschen, die davon leben. Wie Tim Cook (Apple), Jeff Bezoz (Amazon) oder Elon Musk (Tesla). Nun zu behaupten, Kultur- und Kunstschaffende seien nicht so wichtig, ist heuchlerisch. Hören wir also endlich auf das zu behaupten und lassen den Profi-Kulturschaffenden die Unterstützung zukommen, die sie verdienen!

zmitz würde es ohne Fabian nicht geben. Denn im Jahr 2014 gründeten er und Lucilia den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn sichtbar zu machen. Fabian erzählt unter anderem die Hintergrundgeschichten. Denn auf dem Kulturparkett fühlt er sich wohl, kennt die Kulturschaffenden mindestens genau so gut wie die Kulturveranstalter und weiss auch um kulturpolitische Zusammenhänge. Als Blogger ist er in allen Sparten zuhause. Er ist aber nicht nur Co-Leiter der Redaktion, sondern kümmert sich als Präsident des Vereins darum, dass auch formal bei uns nichts aus dem Ruder läuft.