zmitz-Bloggerin Myriam Brotschi Aguiar ist cinéphil und hüpfte deshalb aufgeregt auf und ab, als sie von der Islamwissenschaftlerin und SRF-Moderatorin Amira Hafner-Al Jabaji zu einer Exklusivvorstellung des Films «Baghdad in my Shadow» im Grenchner Kino Rex im Beisein des schweizerisch-irakischen Regisseurs Samir eingeladen wurde.
Der kleine Samir Jamal Aldin wollte doch nur dazugehören. Doch immer wieder bekam er zu spüren und zu hören, dass er kein «echter» Schweizer sei. Dies obwohl er, Sohn einer Schweizerin und eines Irakers, schon als Kleinkind in die Schweiz gekommen war und seine gesamte Schuldbildung hier absolviert hatte. Es hätte durchaus sein können, erklärte der heute 64-jährige Samir dem Publikum im Kino Rex Grenchen, dass er der Frustration und Kränkung nachgegeben, sich von der Gesellschaft abgekehrt hätte.
So wie die Figur in seinem Film, die Ablehnung und Gewalt erfährt und deshalb in die Fänge eines radikalen Predigers gerät. Zum Glück hat Samir stattdessen in der Kunst seine Heimat und Sprache gefunden und realisiert seit Mitte der 80er-Jahre eigene Filme. Am vergangenen Samstag war er der Einladung von Amira Hafner-Al Jabaji (beide oben im Bild), der Islamwissenschaftlerin und SRF-«Sternstunde Religion»-Moderatorin nach Grenchen gefolgt, wo er im Kino Rex seinen neuesten Film «Baghdad in my Shadow» präsentierte. Samirs Werk spielt in London und ist ein dicht gewirkter Stoff mit mehreren Erzählsträngen und einigen Rückblenden, ein mutiges Genre-Geflecht aus Komödie, Liebesdrama und Politthriller. Die verschiedenen Fäden laufen im Café Abu Nawas zusammen, das einem kurdischen Exil-Iraker gehört und ein familiäres Refugium für eine Handvoll weiterer Exil-Irakis ist. Im Plot begegnen uns Amal, eine junge willensstarke Iraker Architektin, die in Grossbritannien untergetaucht ist und im Café arbeitet.
Der Dichter Taufiq und der schwule IT-Spezialist Muhanad kommen fast täglich vorbei. Tafiq kümmert sich seit der Ermordung seines Bruders durch das Saddam-Regime um seine Schwägerin und deren Sohn Nasseer, muss aber machtlos dabei zusehen, wie sich dieser unter dem Einfluss des radikal-islamistischen Predigers Yassin zunehmend verändert und sich gegen ihn aufzulehnen beginnt. Der IT-Spezialist Muhanad verliess Bagdad, um der Bedrohung, die ihm als Homosexueller galt, zu entkommen. Doch selbst in London und vor seinen Freunden traut er sich nicht, zu seinem englischen Liebhaber zu stehen. Die kleine Gesellschaft gerät in Gefahr, als Amals Ex-Mann in London auftaucht und zugleich Scheich Yassin den Neffen Nasseer dazu verführt, gegen die «Gottlosen» im Café Abu Nawas vorzugehen.
Der Film hat mir grundsätzlich gut gefallen. Das SchauspielerInnen-Ensemble war eine grossartige Casting-Leistung. Das Setting mit dem Kaffee im Zentrum überzeugte mich. Die Kameraführung erlaubte mir trotz den häufigen (mir lästigen) Cuts, Nähe zu den Protagonisten aufzubauen. Die Musik entführte immer wieder mal in orientalische Welten. Aber beim einen oder anderen Dialog oder Ereignis kam es mir so vor, als wären sie nur eingestreut worden, um das (Schweizer) Publikum abzuholen. Zum Beispiel, dass beim radikalen Scheich Pornofilme mit blonden Europäerinnen im Computer gefunden werden. Oder die erste Begegnung zwischen Amal und dem englischen Architekten Martin, bei dem dieser von sich gibt, dass er sich eine Irakerin nicht so vorgestellt hat und sie ihm dann eröffnet, nicht alle Irakerinnen seien verschleiert. So gab es noch das eine oder andere Detail, das mir persönlich zuviel und in meinen Augen für die Handlung überflüssig war.
Hingegen konnte ich in der anschliessenden Diskussion kaum genug von Samir und seinen Erklärungen bekommen. Dass er ein guter Erzähler ist, zeigt sich nicht nur in seinen Filmen, sondern auch wie er für die Besucherinnen und Besucher im Kino Rex ausleuchtete, wie aufwendig, schwierig und langwierig das Casting abgelaufen war. Samir erklärte: «Das Casting war so schwierig, weil ich Schauspieler wollte, die diesen arabisch-irakischen Dialekt und auch gleichzeitig Englisch sprechen. Unser Hauptdarsteller Taufiq, der in Irak sehr bekannt ist, kann kein Englisch. Für den Film hat er ein Jahr lang Englisch gelernt.»
Weiter interessierten sich viele Männer für die Rollen, aber sobald klar war, dass es einen Homosexuellen zu spielen gab, hätten diese Reissaus genommen. Und auch die Schauspielerin Zahraa Ghandour, die Amal mimt, wurde wegen der Liebesszenen mit Problemen innerhalb ihrer Familie konfrontiert. Dies obwohl sie in Bagdad als Filmemacherin, TV-Moderatorin und Schauspielerin arbeitet und sich in Frauenrechtsorganisationen engagiert.
In der Fragerunde wurde Samir gefragt, ob es denn in all den Widrigkeiten, die im Film zu sehen wären, etwas gebe, was die Menschen – die ja schliesslich auch zu seinem Kulturkreis gehören – verbindet. Daraufhin meinte Samir: «Es ist die zwischenmenschliche Wärme. Die Art, wie ein Teil der Menschen im Film Sorge für den anderen trägt, dieses Kollektiv, das der Religion und der Politik übergeordnet wird.»
«Baghdad in my Shadow» (Trailer hier zu sehen) ist am 28.11. in verschiedenen Kinos angelaufen: zurzeit zu sehen u.a. in Grenchen (Rex), Solothurn (Casablanca), Olten (Lichtspiele), Biel (Kino Lido), Liestal (Kino Sputnik) und Bern (CineMovie). Der Film wird auch an den 55. Solothurner Filmtagen (22.-29.1.2020) gezeigt.
Sie ist eine Frau des Wortes und des bewegten Bildes. Denn Kino kanns Myriam so richtig antun. Immer mal auf Reisen, weiss die Grenchnerin aber auch bestens Bescheid, was in ihrer Hood geht. Immerhin ist sie bestens verwurzelt. Und wenn sie hier über einen Anlass bloggt, schafft sie es, den Leser oder die Leserin auf einen kleinen Exkurs in Träumerei mitzunehmen. Dies aber nicht, ohne ihn oder sie auch sanft wieder auf den Boden der kulturellen Realität zurückzuführen.