Wie kann man mit geschlossenen Augen Literatur aufnehmen und gleichzeitig die Umgebung eines Schlosses in sich aufsaugen? Blogger Ruedi Stuber hat sich am Sonntag dieser Herausforderung auf Schloss Waldegg gestellt.

Pachelbels berühmter Kanon in einer Kathedrale? Der gleiche Kanon in einer Autobahnraststätte? – Die Wahrnehmung dürfte nicht die gleiche sein!

Mit einem vergleichbaren Phänomen spielt Maria Urspungs literarischer Rundgang durch Schloss Waldegg. Die Autorin und Regisseurin liest in verschiedenen Räumen des Schlosses Geschichten und Gedichte vor, knüpft hin und wieder an ein Bild oder Objekt der Umgebung an oder erläutert, welche Assoziationen der Raum in ihr selber wachruft. Wer ihr zuhört, erlebt ein sehr persönliches und unverkrampftes Kopfkino.

Das Schöne für mich: Ich kenne die Mehrzahl der Autorinnen und Autoren dieser kurzen literarischen Sequenzen, weil alle aus unserer Region stammen. Ich höre mir mit grossem Vergnügen lautmalerische Gedichte an, skurrile Schilderungen, akribische Beobachtungen. Wer die Augen beim Zuhören schliessen möchte, behält sein Lächeln auf den Lippen. Wobei: Augen schliessen widerspricht der Absicht des Rundgangs: Die Salons des Schlosses sollen wirken wie Geschmacksverstärker – und das funktioniert voll! Wir stehen weder in einer Kathedrale noch in einer Autobahnraststätte, sondern im Blauen Salon, dem Theatersaal oder im Schlafzimmer. Die Geschichten werden zu Models und die Räume legen sich wie eine elegante Robe sanft um die Texte. Die elegante Kollektion gereicht dem Schloss, der Region und ihren Literaten zur Ehre. 

Die Texte, die Maria Ursprung mal in Bühnendeutsch, mal im Dialekt vorträgt, stammen u. a. von Peter Bichsel, Elisabeth Pfluger, Kilian Ziegler, Ernst Burren, von Franz Hohler, Claudia Storz oder Silja Walter.

Gäste, die sich diesen literarischen Rundgang gönnen, sind in grosser Zahl erschienen. Sie kommen in Genuss eines reichhaltigen Sonntagsmenüs: liebevoll präsentiert, wohltuend bekömmlich und geistig bereichernd.

Es dürfte nicht einfach gewesen sein, eine solche Fülle von passenden Texten aufzuspüren, die den gestellten Kriterien entsprechen. Ein Wegweiser für Spurensucher könnte die im Knapp-Verlag erschienene Reihe «Solothurner Klassiker» sein.

 

Ruedi, der heimliche Spiritus rector von zmitz. Denn es gibt nichts, was der längstjährige Kulturtäter und Musiker nicht kennt. Haben die Jungspunde im Team eine Idee, Ruedi weiss, wer mehr Infos hätte oder wen man einbeziehen sollte. Und im Zweifelsfall sind die damals auch bei ihm zur Schule gegangen. Der bekennende Kleinkunstliebhaber ist ganz gross, wenn es um das hiesige Kulturschaffen geht.