«Hier und dort» heisst das Augmented-Reality-Game, das theatrale Spiel, die szenische Anlage zwischen Theater, Installation und Videospiel. «Hä?» fragt sich zmitz-Bloggerin Mirjam Staudenmann und wagt sich selbst auf den Weg zwischen Realität und Fiktion.
«Ihr macht alles richtig», motiviert uns Friedrich Kirschner immer wieder. Er ist einer der kreativen Köpfe des Medientheaterkollektivs mnemoy und Entwickler der virtuellen Welt, in der ich mich im Moment gerade bewege. Vor zehn Minuten hat er mir ein Smartphone und dazugehörige Kopfhörer in die Finger gedrückt und mich mit zehn anderen Spieler/innen in die virtuelle Welt hinausgeschickt. Auf dem Bildschirm sehe ich eine rosarote Betonwelt. Das Landhaus neben mir ist ein rosa-grauer Bunker, der Landhausquai eine mit Gras gesäumte Strasse. «Folge dem Gras!» steht auf dem Bildschirm. Gras? Das Ganze erinnert mich eher an LSD.
Über den Kopfhörer spricht Ada Fernanda Büchner zu mir. Sie erzählt mir, dass sie seit acht Jahren an der «Maschine» arbeite. Mit ihr könne sie alle nur denkbaren Erfahrungen, Empfindungen und Realitäten gleichzeitig erleben. Da, wo Ada jetzt ist, im «Hier», habe sie einen Möglichkeitsraum erschaffen, welcher sich nie erschöpft. Auch ich soll diese Erfahrung machen dürfen. Das gehe aber nur, wenn ich mich von der Welt, die ich die echte nenne, löse. Weg vom Dort, hin zum Hier. Denn: Es gibt nicht nur eine Welt, die Geschichte sei so mannigfaltig wie ihre Perspektiven. Das Fokussieren auf das Eine, schliesse immer auch anderes aus.
Ada gefällt mir. Ihre Texte machen Lust auf mehr, Lust darauf, das «Hier» zu erleben. Meine Begleitung und ich konzentrieren uns so sehr auf Ada und ihre Gedanken, dass wir von der Gruppe ziemlich abgehängt werden. Während wir ein Gespräch darüber beginnen, was Ada genau gemeint haben könnte, steht der Rest der Gruppe bereits auf dem Märetplatz und unterhält sich angeregt. Sie haben die «Erlebnisknoten» auf dem Bildschirm bereits gefunden. Uns muss Sarah Buser erst helfen. Sarah ist Dramaturgin, eine weitere treibende Kraft hinter mnemoy, sowie der Link zu Solothurn (Förderpreisträgerin des Solothurnischen Kuratoriums für Kulturförderung im Bereich «Schauspiel» 2015). Sie zeigt uns, wie wir ein Erlebnis aussuchen können und wir entscheiden uns erst für «Fliegen». Von der St. Ursentreppe heben wir ab. Ada spricht wieder mit uns, wir kriegen das nicht so ganz mit. Viel zu sehr sind wir darauf bedacht, alles richtig zu machen. Unser Avatar scheint zu fliegen. «Und jetzt?» fragen wir uns. So richtig wohl ist uns nicht und wir sind froh, als wir irgendwie landen. In einem weiteren «Erlebnisknoten» werden wir Alpacas, was uns sehr freut, wir aber noch immer nicht ganz verstehen. Für eine kurze Zeit jedoch erschliesst sich uns das, was Ada sagt: Das Fokussieren auf das Eine, schliesse immer auch das Andere aus. In unserem Fall ist es ein Fahrrad, das wir – als Alpacas auf dem Bildschirm hüpfend – beinahe übersehen.
«Und das ist Theater?» fragen sich meine Begleitung und ich. Irgendwie schon. Wir erkennen die Kulissen, die über die physikalische Welt hinausreichen. Wir erkennen die Performance – sie ist halt einfach digital. Und wir erkennen, dass die meisten der Gruppe intuitiver vorgehen als wir, dass sie sich nicht ständig fragen, ob sie wirklich alles richtig machen würden. Während sie gegen Alpacas kämpfen, scheinen wir noch immer im «Dort» zu stecken und unterhalten uns über Adas Texte. Die waren so gut. Ob es die auch in realer, gedruckter Form gibt, so richtig zum Anfassen?
Kreuzkultur ermöglicht die virtuellen Erfahrungen noch bis am Samstag. Tickets sind jedoch nur noch für heute Donnerstag erhältlich: www.kreuzkultur.ch
Seit der ersten Stunde bei zmitz dabei, ist sie sich bewusst, dass Kultur nicht immer allen gefallen muss. Sie aber weiss, was ihr passt. Soll nicht heissen, dass sie auch einmal über den Tellerrand ihrer eigenen Kultursuppe hinausblickt und Dinge erkundet, die nicht unbedingt ihr Ding sind. Ihr Herz schlägt für Musik – ob ab Bühne oder Konserve – und vor allem für alles, was nicht so ganz in ein Schema passen mag. Und weil sie im Hintergrund aktiv mitdenkt, bleibt zmitz nicht so gut wie ehedem, sondern wird stets besser.