Wenn man so liest, was der ehemalige Tierarzt und Schriftsteller Christoph Schluep von Berlin erzählt, dann merkt man, dass die neu gewählte Heimat sehr aufregend sein muss.

Wieso und wann sind Sie ins Ausland/nach Berlin gegangen?
Nachdem ich 22 Jahre in Biberist als Tierarzt gearbeitet hatte, war es im September 2011 an der Zeit etwas Neues anzupacken. Meine Frau und ich mussten uns entscheiden zwischen Amerika, Indien und Berlin und da ich vorhatte meinen ersten Roman zu schreiben, wählten wir Berlin, da hier im Gegensatz zu den andern Destinationen noch Deutsch gesprochen und geschrieben wird. Was ich zur Zeit der Entscheidung nicht wusste, war, dass meinem Wunsch ins Ausland zu gehen noch eine unbewusste Motivation zu Grunde lag: Ich wollte einmal in meinem Leben nichts tun! Wie schwierig das Nichtstun ist und in welche Abgründe es einen führen kann, sollte ich in den nächsten zwei Jahren erfahren und auch wie es sich anfühlt in einer Stadt zu leben, wo unzählige Autorinnen und Autoren vergeblich versuchen bekannt zu werden.

Und wie lebt es sich dort so im Vergleich zur guten, alten Heimat?
In Berlin lebt es sich sehr gut, um nicht zu sagen wunderbar. Ich muss niemandem erklären, warum ich mitten am Tag im Park sitze und in die Sonne schaue. Auf Schritt und Tritt treffe ich Künstler an. Man sagt, in Berlin lebten 3,5 Millionen Menschen und ein Drittel seien Kreative. In der Tat kommt es mir auch so vor. Fast jeder, den ich irgendwo treffe, schreibt, tanzt oder singt in einer Band. In der Wohnung über uns probt ein Nachwuchskünstler den ganzen Tag für den grossen Auftritt. Ich muss ihn mal fragen, wann dieser Auftritt denn nun stattfindet.
Kürzlich ging ich durch den Park, als ein Mann an mir vorbei rannte und sich geräuschvoll hinter dem nächsten Baum erbrach. Leicht schwankend kam er auf mich zu. Er sei Schauspieler, habe eine eigene Radiosendung und sei auf dem Weg zu einem Casting mit Roman Polanski. Wahrscheinlich sei der Tee, und damit zeigte er auf einen Pappbecher in seiner Hand, nicht mehr so frisch, aber vielleicht sei es auch die Trennung von seiner Freundin, die ihn aufwühle oder das Casting. Er habe sich eben eine neue Wohnung angeschaut. Während wir neben einander her gingen, klaubte er eine Karte aus seiner Trainingshose. Ich solle ihm doch mal was von mir schicken. Er fördere in seiner Sendung auch Nachwuchskünstler.
In meinem Stammcafé treffe ich regelmässig einen Theaterregisseur, der, obwohl in Rente, gerne weiterarbeiten würde. Für mich ist Berlin ein Abenteuer, das ich noch nie bereut habe. Als Schweizer bin ich in Berlin immer gern gesehen. Irgendwie waren die meisten schon mal in der Schweiz und wissen etwas zu erzählen von Zürich, von Zermatt oder im besten Fall sogar von Solothurn.

Wie unterscheidet sich das Kulturleben zwischen Berlin und der Schweiz?
Für mich unterscheidet sich das Kulturleben grundsätzlich dadurch, dass in Berlin das Kulturangebot schlicht und einfach unendlich vielfältig und lebendig ist. Hier findet man sozusagen alles, was man sich nur vorstellen kann und sogar das Unvorstellbare. Junge Menschen aus der ganzen Welt wollen hier Autoren, Sänger, Tänzer werden und mieten sich zu diesem Zweck einen Raum im dritten Hinterhof und performen vor drei bis vier Zuschauern. Das Wenigste ist hochstehende Kunst, aber was mich fasziniert: Es sind Menschen, die sich zeigen, die sich trauen und die einen Traum haben.
Im Gegensatz zur Schweiz, wo ich in einem kleinen Dorf auf dem Land wohnte und die Kultur in der Stadt stattfand, lebe ich hier mitten drin und übe mich darin eine geeignete Auswahl an Events zu treffen, die ich besuchen möchte. Berlin ist ein hartes Pflaster für Kunstschaffende, ich würde behaupten eines der härtesten. Wer es hier schafft von seiner Kunst zu leben, der hat es geschafft. Viele unserer jungen Kolleginnen leben auf Hartz 4 oder jobben in einer Kneipe und träumen vom grossen Durchbruch. Auch einige Schweizer Künstler leben in Berlin, verdienen aber ihr Geld meist in der Schweiz.

Was vermissen Sie hier, was Sie in ihrer Heimat hatten/hätten?
Ich vermisse hier vor allem die Freunde und die Berge. Etwas klischeehaft, ich weiss, aber hier ist wirklich alles flach wie ein Brett und nirgends ein Weissenstein. Manchmal vermisse ich auch das Schweizerische, wobei ich nicht einmal genau sagen könnte, was dies denn sei. Es fällt mir auf, dass bei Gesprächen mit Schweizer Freunden, die zu Besuch kommen, etwas gemeinsames mitschwingt, das schwer in Worte zu fassen ist. Vielleicht hängt es mit dem Dialekt zusammen, dass man Dinge anders ausdrücken und tiefer verstehen kann, wenn man so spricht, wie einem der Schnabel gewachsen ist.

Es gibt ja Dinge aus der Schweiz, die man (ein bisschen) vermisst. Was ist das bei Ihnen? Was nehmen Sie jeweils mit, nachdem Sie mal wieder in der Schweiz waren?
In der Weihnachtszeit sind es vor allem Lebkuchen, die ich gerne aus der Schweiz mitnehme, aber im allgemeinen sind es hauptsächlich Lebensmittel, wie Bouillon, Dörrbohnen, Fonduemischungen und Bergkäse vom Berner Oberland.

Und was bringen Sie jeweils Freunden und Bekannten aus Berlin mit?
Beim letzten Mal habe ich Trockenwürste vom lokalen Markt mitgebracht, was aber keine sehr gut Idee war, weil diese während der zehn Tage, die sie im Auto warten mussten, etwas zu warm hatten und daher schimmlig wurden. Den Berliner Stadthonig bringe ich gerne mit, da sich gezeigt hat, dass der Stadthonig weniger Schadstoffe enthält als derjenige von Bienen aus der Brandenburger Intensivlandwirtschaft.

Wo trifft man Sie regelmässig an? Wo verbringen Sie Ihre Freizeit? Wo trifft man Sie bestimmt nie an?
Mich trifft man häufig in meinem Lieblingscafé im Kiez und im nahen Park an, wo ich meinen Laptop bearbeite oder Enten beobachte. Regelmässig gehe ich morgens zur Klein-Technik, wo wir durch bestimmte Übungen lernen unser Knochengestell wieder so auszurichten, dass das Gehen und Stehen wieder so wird, wie es sein sollte. Relativ häufig trifft man mich bei Lesungen und bei Tanzveranstaltungen an. In Berliner Clubs oder in Tatoo-Studios wird man mich nicht antreffen. Wahrscheinlich bin ich nicht mehr jung genug, um mich allen Trends und Fun-Projekten Berlins anschliessen zu wollen.

Aus welchem Grund würden Sie wieder in die Schweiz zurückkehren?
Ich würde wieder in die Schweiz zurückkehren, um wieder mit Menschen zu sein, die ich schon ganz lange kenne. Auch das Geldverdienen geht in der Schweiz einfacher als in Berlin. Berlin ist die beste Stadt um Neues zu lernen, da die besten Lehrer von überall her nach Berlin kommen und man sich die Workshops und Ausbildungen hier auch leisten kann. Tatsächlich überlege ich mir, ob ich in einem Jahr wieder in die Region Solothurn zurückkehren werde. Mal sehen, nächstes Jahr um diese Zeit werde ich mehr wissen.

Welches Solothurner Kulturlokal oder -ereignis fehlt Ihnen bzw. würden Sie nach Berlin zügeln?
Ich würde das Kreuz in Solothurn und das Restaurant Baseltor nach Berlin zügeln. Auch die Solothurner Filmtage fehlen mir.

Ohne Lucilia wäre zmitz nicht zmitz. Denn im Jahr 2014 gründeten sie und Fabian den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn strahlen zu lassen. Aus langjähriger beruflicher Tätigkeit und purem persönlichem Interesse kennt sie die Kulturbetriebe der ganzen Region und denkt immer eine Nasenspitze weiter. Sie ist aber nicht nur Co-Leiterin der Redaktion, sondern auch Vizepräsidentin des Vereins zmitz.