Gerhard Schnyder geniesst die Gegensätze Londons: an der Themse Vögel beobachten und harte Rockklänge in Pubs, Bars und Clubs. Und by the way: Happy Birthday!
Wieso und wann bist Du nach London gegangen?
Ich kam 2006 dank eines Mobilitätsstipendiums des Schweizerischen Nationalfonds erst mal für sechs Monate nach London um am King’s College an meiner Doktorarbeit zu schreiben. Die Stadt und das Land ganz allgemein hatten es mir sofort angetan. Nach meinem ersten Besuch in Camden Town wusste ich auch sofort wo ich in Zukunft wohne wollte. Nach einem Abstecher von sechs Monaten nach Köln, bin ich dann im Sommer 2007 definitiv nach Grossbritannien gezogen; zuerst nach Cambridge, dann ab Frühling 2008 wieder nach Nord-London.
Das Ganze war eigentlich zuerst nicht als ein definitives Auswandern geplant, sonder ergab sich nach und nach – natürlich auch weil ich das Glück hatte in Cambridge eine 2-jährige Post-Doc-Stelle zu finden. Ich fand dann an der School for Oriental and African Studies (SOAS) und der Universität Bath temporäre Forschungsanstellungen und schliesslich wieder am King’s eine Festanstellung. Als meine Freundin dann aus der Schweiz nach London nachzog, wurde aus den Wanderjahren endgültig ein Auswandern.
Und wie lebt es sich dort so im Vergleich zur guten, alten Heimat?
Super! Wie Samuel Johnson mal treffend sagte: «When a man is tired of London, he is tired of life». London hat eine unglaublich Vielfalt zu bieten: Jedes Quartier hat seinen eigenen Charakter. Jeder Stadteil ist anders. Noch nach sieben Jahren hier entdecken wir immer neue Ecken, die uns völlig überraschen. Man hat echt das Gefühl, dass diese Stadt alles zu bieten hat, was das Leben zu bieten hat! Was kann man sich mehr wünschen?
Dasselbe gilt für Grossbritannien im Allgemeinen: Ein total spannendes Land, mit einer gewaltigen geografischen Vielfalt. Von den Highlands über den Lake District und Wales bis hin zum wunderschönen Süd-Westen; es wird einem nie langweilig.
Wie unterscheidet sich das Kulturleben zwischen London und der Schweiz?
Kulturell ist diese Stadt wohl kaum zu überbieten. Es gibt ein schier unglaubliches kulturells Angebot. Von Opern, über Theater, zu Kino, Galerien, Museen, Rockmusik bis hin zum besten Fusballklub der Welt (Arsenal FC).
Tatsächlich ist hier das Problem so ziemlich das Gegenteil von dem, das kleineren Schweizer Städte oft haben: Die Frage hier ist nie «Isch öppis los hüt?». Man weiss vor lauter Veranstaltungen schon gar nicht mehr zu welcher man hin soll und hat fast ein schlechtes Gewissen, wenn man mal eine Woche lang nicht vom Angebot profitiert hat. Also eher ein Überangebot, das man irgend wie bewältigen muss.
Was vermisst Du in London, was Du in deiner Heimat hattest/hättest?
Als Schweizer hat man am Anfang schon etwas Mühe mit den organisatorischen und infrastrukturellen Problemen in diesem Land. Die Qualität von öffentlichen und privaten Diensten ist ungleich schlechter als in der Schweiz. Hier ist alles ein bisschen «heb-chläb» gemacht. Es darf halt nichts kosten und darum wirkt alles ein bisschen billig und gepfuscht.
Da kommt es schon mal vor, dass Züge annuliert werden, weil kein Fahrer gefunden werden konnte – oder weil Blätter auf den Schienen liegen. Wenn mal 2.5 cm Schnee fällt, dann fährt in London kein Bus und keine Metro mehr. Und wenn man ein Problem mit dem Boiler oder sanitären Installationen hat, muss man bestimmt den Klempner mehrere Male kommen lassen, da er es beim ersten Besuch bestimmt nicht hinkriegt. Es ist auch schon öfters vorgekommen, dass wir mehrere Tage keinen Strom hatten! … Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Ich muss sagen, dass ich die britische Gelassenheit sehr bewundere. Die Briten, die nichts anderes kennen, regen sich nicht künstlich über solche Sachen auf. Wenn man mal für längere Zeit in der Metro fest steckt, lesen sie unberührt ihre Zeitung weiter und stossen höchstens einen resignierten «ah well»-Seufzer oder ein leicht genervtes «bloody hell» aus.
Es gibt ja Dinge aus der Schweiz, die man (ein bisschen) vermisst. Was ist das bei Dir? Was nimmst Du jeweils mit, nachdem Du mal wieder hier warst?
Ganz klar: Der Bio-Senf von Coop. Es gibt im ganzen Land nichts Vergleichbares hier. Wir nehmen dann jeweils 10 Tuben oder so mi,t wenn wir aus der Schweiz zurück fliegen!
Und was bringst Du jeweils Freunden und Bekannten aus London mit?
Arsenal Fanartikel!
Wo trifft man Dich regelmässig an? Wo verbringst Du Deine Freizeit? Wo trifft man Dich bestimmt nie an?
Wenn ich nicht irgendwo an der Themse am «birdwatchen» bin, bin ich wohl am häufigsten in Camden in einer Rockbar, im Comic Book Store, oder bei einem Metal-Konzert anzutreffen… Meine absoluten Lieblingsorte sind The Devonshire Arms, The Underworld oder das Black Heart Pub. Da gibt es nicht nur richtiges englisches Ale, sondern auch laute und harte Musik.
Im Sommer und bei schönem Wetter (ja, das gibt es in London!), trifft man mich am meisten im Hampstead Heath Park oder am Regent‘s Canal an. Ich kenne wenige Grossstädte, die so grün wie London sind. Die Parks und Grünanlagen hier sind wirklich die Lebensader der Stadt und sind super Naherholungsgebiete.
Sehr selten bin ich im schicken Westen Londons anzutreffen (South Kensington und Chelsea) und noch weniger an der Oxford Street – der Londoner Einkaufsmeile – an einem Samstag!
Aus welchem Grund würdest Du wieder in die Schweiz zurückkehren?
Was mich wieder in die Schweiz zurückziehen würde sind natürlich hauptsächlich Familie und Freunde. Aber auch das Lohnniveau und die materielle Lebensqualität, die in der Schweiz unschlagbar sind, wären verlockende Gründe.
Welches Solothurner Kulturlokal oder -ereignis fehlt Dir bzw. würdest Du nach London zügeln?
Den «Creep Club», wenn es den noch geben würde… sonst halt das Kofmehl!
Ohne Lucilia wäre zmitz nicht zmitz. Denn im Jahr 2014 gründeten sie und Fabian den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn strahlen zu lassen. Aus langjähriger beruflicher Tätigkeit und purem persönlichem Interesse kennt sie die Kulturbetriebe der ganzen Region und denkt immer eine Nasenspitze weiter. Sie ist aber nicht nur Co-Leiterin der Redaktion, sondern auch Vizepräsidentin des Vereins zmitz.