Sie lebt genau gleich lang in New York, wie sie in der Schweiz gelebt hat. In dieser Zeit hat sich viel verändert. Und doch möchte Choreografin Andrea Haenggi nicht wieder zurück.

Wieso und wann sind Sie ins Ausland/nach New York gegangen?
25 Jahre in der Schweiz. 25 Jahre in New York. Ich bin nach New York gekommen, um zeitgenössischen Tanz zu studieren, zuerst an der «Martha Graham School for Contemporary Dance» und dann weitere Ausbildung bei der «Trisha Brown Dance School». Vor 25 Jahren gab es in Europa nicht viele Möglichkeiten, Zeitgenössischen Tanz zu studieren. Heute gibt es wahrscheinlich mehr Möglichkeiten in Europa Zeitgenössischen Tanz zu studieren als in New York. Obwohl die Stadt so teuer ist, vor allem die Miete, bin ich immer noch hier; sie fordert mich immer noch heraus. Ich wohne in Williamsburg, wo sich sehr viel verändert hat und mehr und mehr europäisch ist. Manchmal habe ich das Gefühl, ich sei in Zürich oder Berlin. Wenn ich in mein Künstler- Atelier gehe in Crown Heights in Brooklyn, dann fühle ich mich in New York. Dort ist es immer noch sehr urban mit vielen verschiedenen Menschen von vielen verschiedenen Kulturen. I love that.

Und wie lebt es sich dort so im Vergleich zur guten Schweiz?
Man hat das Gefühl, man habe jemanden im Rücken: Schnell, schneller, schneller, mehr, mehr, mehr. Das habe ich gern, weil ich selbst viel Energie habe. Ich fühle mich dadurch nicht so gestresst. Man tut etwas und die Dinge bewegen sich. New York ist schnell.

Wie unterscheidet sich das Kulturleben zwischen New York und der Schweiz? Ist es bei Ihnen «leichter»? Unterscheidet sich New York diesbezüglich von anderen US-Städten?
Es ist klar, in New York gibt es viel mehr verschiedene Arten, wo man Kunst erleben kann, von intimen Aufführungen in privaten Wohnungen bis zum grossen Opernhaus. Öfters scheint mir, in New York sei das Publikum viel mehr gemischt im Sinne, dass es nicht nur andere Künstler sind, die die Aufführung ansehen, sondern Leute verschiedener Kulturen, Berufe und Herkunft. In der Schweiz ist es öfter so, dass der Zuschauer derjenige ist, der studiert hat und nicht ausschliesslich Zuschauer von verschiedenen Berufssparten. Ich selbst suche seit fünf Jahren neue Möglichkeiten Kunst zu machen, wo ich nicht so abhängig bin von den Hierarchien von Kunst, Institutionen und Geldgebern. Das Publikum ist immer da, wenn man es aktiv sucht. Ich war immer schon eine Künstlerin, die ihre eigenen Wege geht, um mich selber nicht abhängig zu machen von diesen Hierarchien von Geldgebern, Kunst- Institutionen, die ich kritisch hinterfrage. Ich suche neue Wege, die Bewegungskunst den Leuten nahe zu bringen. Mein Ziel: Nächstes Jahr werde ich mein gemietetes Atelier noch mehr anderen Künstlern zur Verfügung stellen durch das Bewegungs-/Kunst- Projekt «The Pop –Up Gesture Store». Dabei frage ich mich: «Was ist uns wichtig im Leben?» Unterstützung suche ich für das Projekt durch Crowdfunding von Kickstarter. Sehen Sie es sich an! Join the Gesture Economy: https://www.kickstarter.com/projects/1100586350/join-the-gesture-economy-support-1067-pacificpeopl

Was vermissen Sie hier, was Sie in ihrer Heimat hatten/hätten?
Ich vermisse die Eisenbahn. Ich liebe die Eisenbahn in der Schweiz, wo man rein sitzen kann und so viele verschiedene Dörfer und Landschaften in sehr kurzen Zeit sehen kann. Manchmal absolute Ruhe zu haben, wäre super in New York, aber dafür gehe ich manchmal in die Schweiz und meine Zwillingsschwester Martina organisiert immer, dass wir in den ersten paar Tagen in die Berge gehen und dort übernachten können. Einfach so amazing peaceful. I love it.

Es gibt ja Dinge aus der Schweiz, die man (ein bisschen) vermisst. Was ist das bei Ihnen?
Ich wünschte mir, meine Zwillingschwester Martina und ihre Tochter Aischa wären näher bei mir. Ich bin froh für die neue Technologie – öfters bin ich mit ihnen in Kontakt durch Face Time. Auch würde ich gerne öfter meinen Vater sehen und meine anderen Geschwister und Freunde.

Was nehmen Sie jeweils mit, nachdem Sie mal wieder hier waren?
Ich nehme Esswaren mit, weil ich weiss, meine Lieben in New York haben es gerne: Käse, Wurst, Landjäger und natürlich Schokolade. Leider kann man das feine Schweizer Jogurt nicht mitnehmen.

Und was bringen Sie jeweils Freunden und Bekannten aus New York mit?
Ich bringe tolle T-Shirts und Tops mit.

Wo trifft man Sie regelmässig an? Wo verbringen Sie Ihre Freizeit? Wo trifft man Sie bestimmt nie an?
Bestimmt trifft man mich in meinem Künstler-Atelier an, wo ich seit drei Jahren arbeite. Die Adresse ist 1067 Pacific Street in Brooklyn. Es ist eine ehemalige Autoreparaturwerkstatt mit einer Garage und einem grossen Hofraum. Es dient zur täglichen Praxis für mich und meinen freien Mitarbeiter und zugleich dient es auch als Aufführungsort für Projekte, die entstanden sind aus unserer täglichen Praxis. Im grossen Hofraum hat es viele Wildpflanzen und ich lasse sie wachsen und sie bekommen einen Teil von unseren Kunstprojekten mit. Seit ich hier bin, sehe und erlebe ich, wie reichhaltig die Natur in der Grossstadt New York ist. Ansonsten kann man mich in Manhatten in der Lower East Side, Chelesa, Midtown aber selten Uptown antreffen.

Aus welchem Grund würden Sie wieder in die Schweiz zurückkehren?
Wenn ich schwer krank würde, ist es vielleicht möglich, dass ich in die Schweiz zurückkehren könnte. Ich traue irgendwie heute noch nicht dem Amerikanischen Gesundheitssystem. Ich habe immer das Gefühl, sie wollen Geld machen mit meiner Gesundheit.

Welches Kulturlokal oder -ereignis fehlt Ihnen bzw. würden Sie nach New York zügeln?
Ich bin Bürgerin von Grindel und Nunningen und bin im aargauischen Bosswil aufgewachsen. Leider kenne ich Solothurn nicht so gut. Aber es ist eine gute Frage; wenn ich nächstes Mal in der Schweiz bin, werde ich Solothurn erforschen gehen, um zu sehen, was man nach New York mitnehmen konnte.

 

zmitz würde es ohne Fabian nicht geben. Denn im Jahr 2014 gründeten er und Lucilia den Kulturblog, um die vielseitige Kultur rund um Solothurn sichtbar zu machen. Fabian erzählt unter anderem die Hintergrundgeschichten. Denn auf dem Kulturparkett fühlt er sich wohl, kennt die Kulturschaffenden mindestens genau so gut wie die Kulturveranstalter und weiss auch um kulturpolitische Zusammenhänge. Als Blogger ist er in allen Sparten zuhause. Er ist aber nicht nur Co-Leiter der Redaktion, sondern kümmert sich als Präsident des Vereins darum, dass auch formal bei uns nichts aus dem Ruder läuft.