Seine Freude an bildnerischer Kunst bezeichnet zmitz-Blogger Peter Gubler als eher naiver Natur, auch sein  Kunstverstand sei eher bescheiden. Umso mehr freute es ihn, dass Gergana Mantscheva bereit war, ihm ihre Arbeit mit Kunst zu erklären.

Ihr Atelier war zum Zeitpunkt meines Besuches verwaist. Gergana arbeitete nämlich an ihrem Beitrag zur Ausstellung Freispiel* im Kunstmuseum Solothurn. Am Eingang kalauerte ich mit der Angestellten über das Gruselkabinett, suchte aber das grafische Kabinett –  vielen Dank, im Untergeschoss.

Ich bahnte mir meinen Weg über Abdeckbahnen, zwängte mich vorbei an verpackten Bildern und traf schliesslich auf Gergana Mantscheva. Die Künstlerin war gerade am letzten Schliff einer Skulptur aus Holzleisten. Aha, typisch, dachte ich. Einfach mal kubische Elemente in den Raum stellen, grau bemalen, fertig. Und das ist dann Kunst. Wäre ich alleine vor dem Werk gestanden, hätte mir für eine eingehende Betrachtung die nötige Geduld gefehlt. Wären Bilder in meinem Kopf entstanden? Hätte ich mir überlegt, was die Künstlerin damit sagen will?

«Das Werk spricht für sich, nicht die Künstlerin!», höre ich meinen ehemaligen Kunstlehrer dozieren. Dabei hätte ich mir oft genug die Künstlerin herbeigewünscht, damit sie mir ihr Werk erklärt. Genau diesen Luxus hatte ich – Gergana erklärte sich mir. Und die Entstehungsgeschichte des Werks war viel weniger abstrakt, als es der Kubus hätte vermuten lassen. 

Sie ist eng verwoben mit ihrer Lebensgeschichte. Sie sei in Sofia, Bulgarien aufgewachsen. Das Gebäude auf dem gemalten Bild an der Wand zeigt die Blocksiedlung, die sie von Klein auf täglich von ihrer Wohnung aus gesehen hat. Vor jenem Block befinde sich ein Klettergerüst, wie sie oft auf Kinderspielplätzen stehen – und dieses Klettergerüst habe sie hier mit den Holzleisten nachgebaut. Zugegeben, darauf wäre ich selber nicht gekommen. Meine Neugierde aber ist nun vollends geweckt.

«Gergana, warum hast du nach den Blockbildern und der Skulptur diese verschieden farbige Böxlis gemalt?» Diese Böxli stellten die auf Friedhöfen üblichen Urnengehäuse dar. Sie sei zum Schluss gekommen, dass die Menschen eigentlich von der Wiege bis zur Bahre in eckige «Kältchen» eingezwängt würden. Als Kinder auf kubischen Klettergerüsten, als Erwachsene in kubischen Wohnungen, als Tote in kubischen Urnengräbern. Menschen, eingezwängt in Böxlis. Das ziehe sich wie ein roter Faden durch diese Arbeit. Sie holt aus und erklärt mir, wie die Menschen Bulgariens zuerst von dem einen Volk, dann vom Kommunismus und nun von der Marktwirtschaft gebeutelt und in starre Formen gezwungen worden seien.

«Living in a box», ich erschauere beim Gedanken. Bin demütig und auch ein bisschen beschämt, im wohl reichsten Land der Welt zu leben. Ob auch wir in Boxen leben, bloss, dass diese im Schnitt etwas grösser sind? Auch Gergana vergleicht die Schweiz mit Bulgarien und fragt, ob ich hier auch schon Goldauftrag auf Grabstein-Inschriften gesehen habe? Ja, natürlich, habe ich. In Bulgarien mache man das nicht mehr, weil in der nächsten Nacht jemand mit Hammer und Meissel vorbeikomme und den Goldauftrag entferne. Das beschäftige sie, dass man eigentlich den toten Menschen auch noch die letzte Würde nehme.

Und ich bin dankbar, mit Gergana endlich eine Künstlerin angetroffen zu haben, die mir ihre Kunst erklärt. Es steckt mehr dahinter, als ich mir vorgestellt hatte. Mein Kopf ist voller Bilder, als wir im Vini eins zusammen trinken. Dabei erfahre ich, dass künstlerische Arbeit eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben sein kann. Zerbrochene Träume, der Tod von Familienmitgliedern, Identitätskrisen – Ich begreife, dass Kunst hilft, diese Lebensthemen auf eine positive Art in seine Biografie zu integrieren. Und ich bin dankbar, dass mein Horizont, der durch die Solothurner Nebeldecke manchmal ganz schön begrenzt ist, heute um ein gutes Stück erweitert wurde.

 
 *Die Ausstellung «Freispiel» von Gergana Mantscheva, Bietenhader/Frölicher und Flo Kaufmann ist im Untergeschoss des Kunstmuseums Solothurn zu sehen bis am 4. Januar 2015.
 
Infos unter www.gerganamantscheva.ch