Die dritte Grenchner Kulturnacht vom Samstag, 13. September 2014, hat gehalten, was sie versprach: Kunst und Kultur in all ihren Facetten und für jedes Alter – ein echtes Kulturspektakel. Unterwegs in der «Blauen Nacht», um Geist und Bauch mit kleinen, aber nahrhaften Kultur-Häppchen zu füllen…
Wenn ein Veranstalter es allen recht machen will, ist das meist suspekt. Kunst und Kultur für jeden Geschmack und jedes Alter, ja gar ein «Kulturspektakel» – ein Versprechen, das nicht einfach einzuhalten ist. Nun, die Grenchner Kulturinstitutionen und -vereine haben es geschafft: Was am Samstagabend, 13. September 2014, an der dritten Grenchner Kulturnacht geboten wurde, war höchst unterhaltsam, abwechslungsreich und phantasievoll, manchmal witzig überraschend. Etwas mehr Publikum hätten die Veranstalter und die Kulturschaffenden verdient, vor allem am Nachmittag – wohl wetterbedingt – konnte man die Zuschauerinnen und Zuhörer teilweise an einer Hand abzählen. Immerhin: Je länger die «Blaue Nacht» dauerte, desto besser waren die Anlässe besucht, einzelne platzten sogar aus allen Nähten.
Von 16 Uhr bis in die Nacht hinein, ein dichtes Programm an acht verschiedenen Orten. Der erste Reflex ist: Den Stift hervornehmen und die Veranstaltungen markieren, die am meisten Unterhaltung versprechen; dabei den «Parcours» so wählen, dass man möglichst viele Anlässe besuchen kann. Das ist mir zu kompliziert und lusttötend, ich beschliesse, mich treiben zu lassen. Also nichts wie rein in die lange „Blaue Nacht“, um Geist und Bauch mit kleinen, aber nahrhaften Kultur-Häppchen füllen…
16.00 Uhr: In «Künstlercafé» in der Alten Turnhallte stellen acht regionale Künstler ihre Werke aus. Als Nicht-Grenchner und Nicht-Kenner der hiesigen Kunstszene ist mir nur Claude Barbey, der kürzlich pensionierte Stadtbaumester, ein Begriff. Zugegebenermassen konzentriere ich mich mehr auf die feinen Apéro-Häppchen. Die Bilder schaue ich mir später genauer an, das «Künstlercafé» werde ich heute Abend sowieso noch ein paar Mal aufsuchen.
16.30 Uhr: «Bücher als Spiegel der Kulturen». Aufschluss- und lehrreiche Kurzvorlesung von Mladen Jandrlic, Dozent, Autor und Übersetzer von Kinderbüchern. Seine These: Im Gegensatz zur Literatur für Erwachsene erfährt man in (Bilder-)Kinderbüchern sehr viel über die Kultur des Landes, aus dem sie stammen. Das spärliche, aber umso skeptischere Publikum ist aufgrund der anschaulichen Beispiele schnell überzeugt. Bilderbücher für Kinder haben neben dem Unterhaltungswert immer auch einen «erzieherischen Auftrag». In unseren Breitengraden liefert oft eine «altkluge» und völlig realitätsfremde Figur im Buch bereits die Lösung eines «Problems» – etwa Streit, Umgang mit Fremdem usw.«Das löst bei den Kindern nur ein schlechtes Gewissen aus, weil sie genau wissen, dass sie nie so vernünftig handeln würden», erklärt Jandrlic. In anderen Kulturkreisen wird die Situation ungeschminkt und ohne Happy end beschrieben, die Lösung wird in der Diskussion mit den Kindern gesucht, die durch das Bilderbuch ausgelöst wird. Ich nehme mir vor, beim nächsten Kauf eines Kinderbuchs etwas genauer hinzuschauen…
17.15 Uhr: An einer noch jungfräulichen Betonwand zwischen dem Lindenhaus und dem Schulhaus 2 entsteht ein «Kulturnacht-Graffiti». Ein paar Jungs sind schon Spraydosen schüttelnd am Werk, für einmal dürfen sie ihre Kunstform völlig legal ausleben. Eindrücklich, wie nach und nach ein farbgewaltiges Bild entsteht. Es läuft erstaunlich leise Hip-Hop-Musik, in ihren Bewegungen scheinen die Künstler dazu zu tanzen. Das Werk ist fantastisch und ich frage mich, warum sowas überhaupt verboten ist. Kommt zu mir nach Hause und sprayt mir alle Wände voll!
17.45 Uhr: Zum zweiten Mal im «Künstlercafé». Ich bestelle ein Grenchner Bier, ein helles «Granicum» – Braukunst ist schliesslich auch Kultur. Die alte Turnhalle füllt sich langsam, vermutlich mit mir unbekannten Grenchner Promis, schliesslich will der Stadtpräsident um 18 Uhr sein offizielles Grusswort halten – auch das muss natürlich sein. Ich verspreche mir davon keinen kulturellen Höhenflug und beschliesse, lieber noch ein bisschen an der frischen Luft den sprayenden Graffiti-Virtuosen zuzuschauen.
18:30: Im Kultur-historischen Museum besuche ich eine Führung durch die Ausstellung «Moderne Architektur». Nicht vergessen: Grenchen hat 2008 den Wakkerpreis gewonnen. Aufgrund der Architektur in der Nachkriegszeit – insbesondere der 50er Jahre – erfährt man Einiges über die Entwicklungsgeschichte der Stadt. Die Bevölkerungsexplosion in den Jahren des Wirtschaftswunders führte auch hier zu einer massiven Wohnungsnot, man begann in die Höhe zu bauen. Das ging manchmal zu wenig schnell, die Leute zügelten teilweise über die Baugerüste in die noch unfertigen Wohnungen. Die Planer prophezeiten der Stadt langfristig eine Bevölkerung von 30‘000 Einwohnern, in den 60er Jahren waren’s bereits 23- bis 24‘000. Dann kam die Krise…
19.15: „Ich dachte, es kommt gar niemand“, meint Stadtarchivarin Salome Moser etwas überrascht. Das enge Stadtarchiv ist voll, sie führt uns zuerst durch das Verwaltungsarchiv mit Dokumenten aus der Stadtverwaltung, das älteste aus dem 16. Jahrhundert. Teilweise sind die Unterlagen sehr zufällig ins Archiv gelangt, da sie früher nicht systematisch gesammelt wurden. Auf der ersten Seite des ersten Gemeinderatsprotokolls von 1856 steht beispielsweise der Vermerk:«Gefunden im Möslimist 1931…» Weiter geht’s zum Privatarchiv und zu den Sammlungen. Anwesend auch zwei Autoren der neuen Grenchner Stadtgeschichte, die momentan am Entstehen ist, Martin Illi und Fabian Saner. Ihre kurzen «Müsterchen» machen gluschtig auf mehr, das Buch soll 2017 erscheinen.
20:00: Zeit für etwas Musik, im Eusebiushof spielt das Jazz-Trio «TRIPLEX», zwei Gitarren und ein Kontrabass. Die Platzierung gleich in der Eingangshalle ist zwar originell, konzerttechnisch aber etwas unglücklich: Ständig platzen Leute rein, die eigentlich in die Beiz im oberen Stockwerk wollen. Immerhin, die Akustik ist ganz passabel. Ich bestelle ein Cüpli Prosecco, geniesse nippend und wippend den lauschigen Jazz und Blues des Trios.
20:30 Uhr: Der erste Versuch, die Aufführung «Adolf Gschwind» im Kultur-historischen Museum zu besuchen. Keine Chance, der Anlass ist überbucht. Kein Problem, ich pilgere an die «EPART». In den grosszügigen Lagerräumen im Untergeschoss der alten «EPA» lockt eine Ausstellung von jungen Kunstschaffenden. Sicher nicht jedermanns Sache, aber die Kreativität und Phantasie der jungen Leute sind ansteckend und anregend. Nur ein Beispiel: Das Werk «Hund schaut runter» von Vera Trachsel – ein schlichtes Briefcouvert, das entsprechend gefaltet und bemalt tatsächlich an einen Hundekopf erinnert. Die volle Bierflasche, die gleich darunter steht, gehört nicht zur Installation, wie mir die Künstlerin versichert. Ein paar Minuten später ist die Flasche denn auch weg… Übrigens: Die Ausstellung dauert noch bis am 19. Oktober 2014.
21:15 Uhr: Diesmal bin ich schlauer und stehe schon früh an für die Aufführung im Kultur-historischen Museum. Der junge Schauspieler Tom Muster ist in die Figur des «Adolf Gschwind» (1886–1966) geschlüpft, Text und Regie stammen von der Theater-Ikone Iris Minder. Der Sohn des letzten Grenchner Laternenanzünders arbeitete 50 Jahre lang in der Uhrenfabrik ETA, machte sich aber auch als Erzähler und Zither-Spieler einen Namen. Lustige und erste Geschichten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vom Leben in der Stadt und in der Uhrenfabrik. Gschwind hat seine Erinnerungen schriftlich festgehalten, das Museum gibt sie als Buch heraus. Lesenswert.
21:45 Uhr: «Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.» Das Seneca-Zitat, das ich an einer Wand des Kultur-historischen Museums entdecke, trifft den Nagel ausnahmsweise nicht auf den Kopf. Ich habe die wenige Zeit perfekt genutzt, bin nach fast sechs Stunden nahe an der Kultur-Überdosis. Dabei habe ich nur die Hälfte des Programms gesehen, einige Highlights verpasst. Was soll’s, in zwei Jahren ist wieder Kulturnacht in Grenchen. Ich runde den Abend noch einmal mit ein paar Häppchen und etwas Braukunst in der Alten Turnhalle ab, diesmal ist’s ein dunkles «Granicum». Endlich habe ich auch Zeit, die Bilder der regionalen Künstler etwas näher zu begutachten.
Mehr Infos findet man auf der Website der Kulturnacht: www.kulturnacht-grenchen.ch
Gianni ist Blogger der ersten Stunde. Er hat schon überall geschrieben und kommuniziert. Bei der Zeitung, für den ÖV, für Spitäler, fürs Vini, jetzt für die öffentliche Verwaltung im östlichen Nachbarkanton. Wieso also nicht für zmitz – wieder. Gianni trifft man immer und überall. Darum schreibt er auch über vieles. Und das durchaus auch mal mit kritischem Blick. Aber lässt sichs auch gut gehen, wenn ihm danach ist.