Sonntage im Theater oder Kino sollen ein Wochenende ungemein bereichern. Der Katerstimmung entfliehen und die innere Ruhe für etwas Kopflastiges nutzen sei meist entspannender als erwartet. Und der Einstieg in die Woche falle auch leichter. All dies habe ich auf jeden Fall irgendwo gelesen. Dem bevölkerten Landhausquai den Rücken kehrend, steige ich also an diesem frühlingshaften Sonntagvorabend etwas müde die Treppe zum Kreuzsaal hinauf.
«Der Bär, der ein Bär bleiben wollte» – Ein Stück für alle ab 7! Entsprechend altersdurchmischt besetzt sind die halbvollen Stuhlreihen im abgedunkelten Raum. Auf der Bühne ist ausser einem Stuhl, einem Cello und einigen Kleidungsstücken nichts zu sehen. Licht aus, Licht an – los geht’s!
Andreas Schertenleib, Autor und Schauspieler dieses Ein-Mann-Stücks, betritt die Bühne, schnappt sich seine Gitarre, äh natürlich sein Cello und beginnt zu liedermachen. Gebannt lauscht man der festen und bestimmten Stimme. Dass man sich als Erwachsener den ganzen Abend über nicht als Zuschauer eines «Kinderstückes» vorkommt, liegt wohl an der ungekünstelten Stimmlage und der realistischen Sprache. Bei den Kleinsten in der ersten Reihe lässt sich von Beginn an gebanntes Mitleben beobachten.
Nach diesem ersten Lied über den Abschied vom Sommer verkriecht sich der Bär nun in seiner Höhle. Während also der glückliche Bär Winterruhe hält, wird, ohne dass er etwas mitbekommt, oberhalb seiner Höhle eine grosse Fabrik auf den abgeholzten Waldboden gestellt. Mit dem Frühling kommt das böse Erwachen für den unschuldigen Bären: Seiner wahren Identität und Bestimmung beraubt, gerät er in die Mühlen eines kapitalistischen Musterapparats und soll gegen seine Natur menschliche Arbeit verrichten. Dass er nicht weiss, was «Arbeit» ist und somit nicht «arbeiten» kann, stösst bei allen auf Unverständnis. Widerwillen bringt nichts – der arme Bär wird ans Fliessband gestellt. Die anfängliche Hektik verwandelt sich rasch in Monotonie.
Das starre und eintönige System der Fabrik zerstört zusehends den Lebenswillen des Bären. Das Bier als Trost kostet ihn seine Stelle. Einsam, verlassen und unverstanden macht sich der Bär auf den Weg. «Wieso geits ging graduus?» Die Tage werden kürzer, die Nächte kälter und der unstillbare Hunger grösser. In einem Motel am Wegrand fragen seine Instinkte nach Essen und einem Schlafplatz, doch stösst er einmal mehr auf Misstrauen und Unverständnis. Der Siedepunkt ist erreicht und mit gebündelter Wut plündert das wild gewordene Tier die Küche. Der Ausbruch ist gelungen – die Natur des Bären kann nicht länger überspielt werden. Glücklich und vollgefressen kann er sich in seine Höhle zurückziehen, ohne zu wissen, was nach dem Winter wieder auf ihn wartet.
Wo chume n i här?
Wo wott i hii?
Wär wott i si?
Das lebhafte und kurzweilige Stück von Andreas Schertenleib besticht mit einfachen, klaren Bildern, welche auf verblüffende Weise altersgerecht jedem Zuschauer die vom Autor beabsichtigte Botschaft vermitteln. Alltägliche, vertraute Mundart verleiht den Aussagen des Stücks grosse Unbeschwertheit. Doch aufgepasst: Das Leben ist kein Honigschlecken!